Baldur’s Gate 3: Die wichtigste Entscheidung ist eine große, dreiste Lüge

Baldur’s Gate 3: Die wichtigste Entscheidung ist eine große, dreiste Lüge

In Baldur’s Gate 3 (Steam) ist eine wichtige Entscheidung vollkommen irrelevant. Damit entwertet sich das Spiel unnötig selbst, findet MeinMMO-Tiefling Cortyn.

Baldur’s Gate 3 begeistert die Massen. Es ist ein tiefes Rollenspiel, mit zahlreichen Entscheidungen, die weitreichende Konsequenzen haben. Oft bemerkt man die Auswirkungen einer Entscheidung erst viele Stunden später und kann sie dann nicht mehr ändern.

Doch ausgerechnet die wichtigste aller Entscheidungen in Baldur’s Gate 3 weicht von diesem Konzept ab.

Spoilerwarnung: Der Artikel behandelt eine der wichtigsten Entscheidungen von Baldur’s Gate 3. Der Artikel enthält daher gravierende Spoiler zum Spielverlauf von Baldur’s Gate 3.

Die Geschichte von Baldur’s Gate 3 beginnt dramatisch. Ihr wurdet entführt und von einem Gedankenschinder infiziert. In eurem Kopf hat sich ein Parasit eingenistet, eine sogenannte Kaulquappe („Tadpole“), die nun droht, euch in einigen Tagen ebenfalls in einen Gedankenschinder zu verwandeln, wenn ihr keine Heilung findet.

Doch schon rasch stellt man fest, dass dieser Parasit offenbar gewisse Vorteile mit sich bringt. So ist man telepathisch mit anderen Parasiten-Trägern verbunden und kann besondere psychische Kräfte einsetzen, um andere Charaktere kinderleicht zu überzeugen.

Aber es gibt noch mehr: Schon bald findet ihr weitere Parasiten, deren Wissen ihr in euch aufnehmen könnt, um besondere Kräfte zu entwickeln. Das sind richtig starke Talente, die euch in Kämpfen stärker und vielseitiger machen. Von „Fernkampf-Kontern auf Zauber“ bis hin zum Wegschubsen aller Feinde im Umkreis oder einem “Stop”-Befehl, der Gegner am Angreifen hindert.

Ob man sich diese Macht zunutze machen will, ist eine der ganz großen Entscheidungen von Baldur’s Gate 3, die sich durch das ganze Spiel zieht.

Und genau jetzt kommt der Knackpunkt: Es ist für den Verlauf der Geschichte komplett egal, ob ihr die Macht des Parasiten nutzt.

Verführerische Macht – ohne Nebenwirkungen

Es hat absolut keine Auswirkungen auf euren Charakter oder das Ende, ob ihr eure Illithid-Kräfte benutzt. Es ist egal, ob ihr nur einen Wurm im Kopf habt oder noch 22 weitere absorbiert. Es ist vollkommen irrelevant, ob ihr eure Illithid-Kräfte bei jedem möglichen NPC einsetzt oder immer den „schweren“ Weg eines richtigen Fertigkeit-Checks wählt.

In meinem ersten Spieldurchlauf mit einem Freund haben wir uns zu gegenteiligen Herangehensweise entschieden. Während der Halbling den Parasit auf jeden Fall loswerden wollte und von den Kräften niemals Gebrauch gemacht hat, hat sich meine Tiefling gierig auf jeden Parasiten gestürzt und die Kräfte ohne Unterlass verwendet.

Mit jedem weiteren Parasit wurde sie mächtiger und ganz ehrlich: Die Fähigkeiten sind im Kampf absolut übermächtig. Sich in ein Displacer Beast verwandeln zu können oder alle Feinde unter einem gewissen HP-Wert (der am Ende 23 betrug) sofort töten zu können, war einfach krass. Achja: Permanentes Fliegen ist auch nett oder Zauber einfach kostenlos sprechen zu können.

Halb-Illithid und sämtliche Kräfte erlernt. Bedeutung für die Story? Null.

Ich dachte: Ich werde dafür bestraft, die Macht des Parasiten ständig zu nutzen

Die Fähigkeiten im Kampf und die absolute Dominanz in Gesprächen sorgten immer wieder für Diskussionen im Discord. Wir waren uns beide sicher, dass diese Wahl am Ende Konsequenzen haben würde. Wir waren uns sicher, dass der Halbling sich in einem finalen Konflikt gegen den Parasiten besser behaupten kann, während meine Tiefling, die diese Kräfte permanent genutzt hat, vermutlich auf ein „böses“ Ende zusteuert und das hemmungslose Nutzen dieser Macht ihr am Ende das Genick brechen wird.

Dass das so sein würde, haben wir uns nicht einfach aus heiterem Himmel ausgedacht – sondern das Spiel impliziert dies permanent. Als ich das erste Mal einen weiteren Parasiten aufnehme, wird die Gefahr davon deutlich hervorgehoben.

Alle Begleiter und NPCs warnen wiederholt davor, sich diesen Kräften hinzugeben. Man wisse einfach nicht, wohin das führt und am Ende liefere man sich damit nur den Gedankenschindern aus.

Selbst die neutrale Erzähler-Stimme warnt indirekt davor. Wenn man zum ersten Mal einen zusätzlichen Parasiten „konsumiert“, dann kommt eine Aussage wie: „So viel Potenzial, aber auch so viel Gefahr. Wissen, das bereit ist, von dir geerntet zu werden. Aber zu welchem Preis?“

Nimmt man den Parasiten dann auf, wird das Ganze noch einmal verstärkt:

„Das Wissen des Parasiten nährt deinen Verstand. Doch gleichzeitig spürst du, wie etwas Wichtiges verschwindet. Etwas, ein Teil tief in dir, ist nun für immer verloren.“

Leere Worte, ohne jede Bedeutung.

Für mehr Illithid-Kräfte hat Cortyn sich sogar unmoralischen Tentakel-Angeboten hingegeben.

Auch viele NPCs wirken mit dem Wissen, dass man bedenkenlos den dunklen Weg einschlagen kann, deutlich weniger interessant. Der “Emperor”, der euch die ganze Zeit dazu verleiten will, die Macht der Illithiden zu nutzen, wirkt gleich weniger bedrohlich. Auch die lange Questreihe um einen magischen Ring, der den Einfluss eures Parasiten komplett aufhalten soll, ist hinfällig – er funktioniert sowieso nicht, obwohl die Quest und der Text was anderes behauptet.

Nur eine Gameplay-Mechanik ohne tiefe Bedeutung?

Natürlich kann man jetzt sagen: „Was regst du dich so auf, das ist halt nur eine Ingame-Erklärung für einen neuen Talentbaum, lol.“

Aber das ist schlicht nicht wahr. Die Entscheidung, den Parasiten niemals, nur im Notfall oder permanent zu nutzen, ist eine tragende Thematik in Baldur’s Gate 3. Es ist der Konflikt, der nicht nur in den Köpfen der gespielten Charaktere tobt, sondern auch in denen der Spieler vor dem Bildschirm.

Dass es ohne Konsequenzen bleibt, die Kräfte zu nutzen, ergibt ja nicht einmal aus Gameplay-Sicht Sinn. Denn wann immer man die Kräfte des Parasiten nutzt, ist das quasi ein „automatischer Erfolg“ – man muss (fast) immer nur gegen eine Schwierigkeit von 2 würfeln. Das heißt faktisch, dass lediglich ein kritischer Misserfolg (also eine gewürfelte 1) scheitern kann.

Aber warum sollte man sich als Spieler dazu entschließen, einen Wurf auf Charisma oder Stärke zu machen, wo man eine 15 oder 20 überbieten muss, wenn man gleichzeitig einfach „Illithid-Wissen“ anwählen kann, das vollkommen ohne spielerische und erzählerische Konsequenzen der „Easy Mode“ ist?

Dass man quasi „for free“ einfach auf das Illithid-Wissen zurückgreifen kann, ist damit leider nur eines: schlechtes Spieldesign.

Ich finde das ungeheuer schade.

Baldur’s Gate 3 ist ein Spiel, das seine Spielerinnen und Spieler permanent sehr ernst nimmt. Mit nur einem Klick auf einen falschen Gegenstand, kannst du ein ganzes Dorf gegen dich aufbringen und einen Kampf um Leben und Tod auslösen. Mit nur einer Entscheidung kann man das Schicksal von Dutzenden NPCs formen und den Verlauf der Geschichte drastisch verändern.

Das Fehlen dieser großen, finalen Konsequenz, deren Bedeutung durch das ganze Spiel hinweg betont wird, beraubt Baldur’s Gate 3 eines würdigen Abschlusses. Ausgerechnet in der wichtigsten Entscheidung nimmt Baldur’s Gate 3 seine Spieler nicht mehr ernst.

Auch wenn die Reise ungeheuer viel Spaß gemacht hat, verleiht es dem Ende einen sehr bitteren, enttäuschenden Beigeschmack.

Baldur’s Gate 3 hat weit über 100 Stunden großen Wert darauf gelegt, dass meine Entscheidungen Konsequenzen haben und logisch weitergeführt werden. Doch die thematisch wichtigste Entscheidung, ob man die Macht des Parasiten nutzt oder nicht, die bleibt ohne jede Konsequenz.

Und das ist nur eines: Verdammt schade.

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Cascadiya

Ich fands ehrlich gesagt auch eine große Überraschung dass es keine “Strafe” gibt.
Aber je länger ich darüber nachgedacht habe, desto besser finde ich die Entscheidung.

Denn genau genommen gibt es eine Strafe imo. Dafür muss man das Spiel aber aus Rollenspiel-Sicht sehen und weniger aus Gameplay-Sicht.

Die Bewohner Faeruns und Baldurs Gate verachten Mindflayer. In dem Moment, indem man sich zum Illithiden macht oder auch nur die Kräfte nutzt (was ja irgendwann auch optisch auffällt), gibt der Charakter extrem viel auf. Es fällt nur im Gameplay nicht wirklich auf und ich finde das macht Sinn, denn die Larven verändern einen zunächst ja nicht durch den Schutz des Imperators und später eben auch nicht dadurch dass man das Hirn zerstört oder selbst beeinflusst. Sie machen stark und das Spiel in der Hinsicht wesentlich einfacher.

Aber dafür muss man eben seinen Charakter dem Schicksal als Mindflayer aussetzen (oder zumindest als jemand dessen Hirn von Larven zerfressen ist), mit dem man eben auch irgendwie die Chance auf ein Leben in der normalen Welt verliert. Auch manche Begleiter sagen einem ziemlich deutlich dass die Beziehung in Gefahr wäre, sollte man sich verwandeln.
Außerdem ist ja auch die Frage ob andere Hirne auch die Kontrolle über einen erlangen könnten eines Tages und und und.

Das ist für mich eine riesige, persönliche Konsequenz. Sie wirkt sicher nur nicht so stark auf das Spiel an sich aus, sondern eher dann wenn man sich in den Charakter hinein versetzt.

Zuletzt bearbeitet vor 8 Monaten von
cht47

Das es keine Konsequenzen hat, weiß man aber auch erst wenn man das Spiel durchgespielt hat. Der ganze Artikel ist einer der größten Game Spoiler überhaupt.. denn die Angst vor dem Bildschirm sich den Charakter zu versauen war real.. das es alles nur ein Bluff der Entwickler war, spielte doch gar keine Rolle. Pokern macht doch auch Spaß obwohl der gegenüber vielleicht das mieseste Blatt hat..

Ich hab nur mein Charakter umgewandelt, das hat tatsächlich Konsequenzen. Erst nur im Aussehen später dann sogar in der Endsequenz wie meine Geliebte mich sitzen lässt und mit dem neuen auf einem Drachen davon fliegt.

Roan

Gerade wenn man bedenkt, dass es ja auf pen und paper basiert. Da kommt es eben auch durchaus vor, dass einem vom Meister durchgehend etwas vorgegaukelt wird und man in den Glauben versetzt wird, eine bestimmte Sache hätte schwerwiegende Auswirkungen, obwohl dies am Ende nicht wahr ist. Dies weiß man ja eben nicht, und wer auf den Bluff “hereinfällt” und sich gegen die Nutzung der macht entscheidet, weiß es auch hinterher nicht. Dass es keine Auswirkungen hat, weiß man ja nur dann, wenn man die macht nutzt und es bis zum Ende spielt. Und bis zu dem Zeitpunkt wird man halt in ständige Angst vor den möglichen Auswirkungen gesetzt. Keine Ahnung ob das am Ende wirklich nur aus Zeitgründen weggelassen wurden, ich hoffe dass dem nicht so ist, wenn es eine bewusste Entscheidung war finde ich sie jedenfalls gut. Es muss nicht alles echte Konsequenzen haben, häufig reicht einfach nur das Gefühl von möglichen Konsequenzen aus.

Roan

Ich finde es tatsächlich sogar sehr mutig, dass sie sich offensichtlich bewusst gegen eine langfristige Konsequenz entschieden haben. Der Punkt ist ja, dass man (sofern man sich nicht Spoilern lässt) dies nicht weiß und einen das Spiel permanent das Gegenteil vermittelt. Gerade aus Sicht des Charakters, wenn man richtig Rollenspiel betreibt, kann dieser es ja nicht wissen und seine Begleiter und seine eigene Intuition geben ja permanent Grund zur Annahme, dass es irgendwann negative Auswirkungen haben wird und man es besser nicht tun sollte. Es wäre ja für larian nicht weiter schwierig gewesen, diese negativen Konsequenzen noch zu implementieren, aber man hat sich ganz bewusst dagegen entschieden. Das finde ich auch durchaus realistisch so, auch in der Realität gibt es häufig Entscheidungen bei denen man sich sicher ist, dass diese negative Konsequenzen haben werden, dies aber nicht der Fall ist.

Roan

Angesichts dessen wie viel Umfang es sonst gibt in den Spiel und welche Auswirkungen andere scheinbar unwichtige Entscheidungen haben können, kann ich es mir nicht vorstellen, dass dies hier keine bewusste Entscheidung war. Da hätte man dann eher andere Dinge gestrichen als das. Erscheint mir jedenfalls deutlich plausibler.

Björn

“Schwerer machen” ist doch kein Argument… Es ist generell ein einfaches Spiel, auch für Genre-Neulinge.
Bei Rollenspielen geht es nun Mal darum, auch in eine Rolle zu schlüpfen und das heißt auch, sich selber Grenzen zu setzen.

Wenn man die Kräfte nutzt und nicht nutzt, hat das schon Auswirkungen auf das Spiel und die Optionen und das reicht doch?!
Warum muss es “Nachteile” dafür geben, mehr Kräfte zu nutzen?
Du hast die Story doch sicherlich mittlerweile durch und solltest verstehen, warum es so wenig Nachteile gibt und dass man für den äußeren Kreis der Fähigkeiten schon etwas “verliert”…

Der “gute Weg” ist in Leben meistens der etwas schwierige und wenn mein Char “gut” ist, dann nehme ich das gerne auf mich. Es ist ein anderes Erleben des Spiels.
Es braucht keine optimieren Builds und die Nutzung jeder Power und jedes mächtige Item, um das Spiel entspannt beenden zu können.

Cascadiya

Sehe ich ähnlich. Wie ich auch in meinem Kommentar geschrieben hab, sehe ich den größten Nachteil für den Charakter darin dass man nach und nach immer mehr ein Illithide wird und damit nicht gerade gemocht wird. Eher sogar gefürchtet und gehasst.

Oft ist der “böse” Weg der einfachere. Ich denk Spiele dichten den Bösen oft Nachteile an, damit es nicht “zu verlockend” wirkt schlechte Entscheidungen im Leben zu treffen. Aber ehrlich gesagt haben es doch schlechte und egoistische Menschen auch im echten Leben oft viel einfacher.

Ich finde es sogar erfrischend dass es keine Strafe gibt. Mein Charakter hat sich einfach dagegen entschieden weil sie kein Mindflayer werden möchte & auch keinen Teil davon im Hirn tragen will.
Egal ob die Kräfte Nachteile haben oder nicht.

Zuletzt bearbeitet vor 8 Monaten von
Stiffmaster

Danke für den tollen Artikel. Mir ging es ganz genauso. Ich habe keine Larve gegessen aus Angst ich würde gegen Ende nicht mehr ich selbst sein… damit habe ich mir das Spiel wohl nur selbst schwer gemacht durch die übermächtigen Fähigkeiten die ich verschmäht habe. Finde ich dann doch ziemlich schwach von den Entwicklern uns da etwas vorzugaukeln.

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