Sozialpädagoge gibt Ratschläge bei Problemen in Gaming-Communitys: “Hinterfragen, wieso ich etwas spiele”

Sozialpädagoge gibt Ratschläge bei Problemen in Gaming-Communitys: “Hinterfragen, wieso ich etwas spiele”

Als Digital Streetworker ist Nando im Netz unterwegs, um Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu helfen, wenn sie Hilfe benötigten. In einem Interview mit uns spricht er über seine Arbeit und gibt auch direkte Tipps an Betroffene.

Jeder von uns ist vermutlich in Gaming-Communitys unterwegs. Entweder direkt in den Games selbst oder in den Welten drumherum. Häufig herrscht genau dort, wo es eigentlich schön sein sollte, aber ein rauer Umgangston miteinander, der schnell eskalieren kann.

An einigen Menschen gehen solche Sachen, vor allem zusammen mit Problemen im echten Leben, nicht unbemerkt vorüber. Nando ist Teil des Programms Digital Streetwork. Er und seine Kolleginnen und Kollegen sind im Netz unterwegs und versuchen zu helfen, wo Hilfe benötigt wird.

Nando ist Experte für Social Skills, Social Media und Gaming und geht in diesen Communitys aktiv auf Jugendliche zu, versucht, mit ihnen Lösungen zu erarbeiten und an die richtigen Stellen zu vermitteln.

In einem umfangreichen Interview haben wir mit ihm über Digital Streetwork im Allgemeinen gesprochen, aber auch spezifisch nachgehakt, welche Probleme im Gaming auftauchen und warum.

In diesem Teil eines zweiteiligen Interviews geht es darum, wie Betroffene mit den Situationen umgehen können. Nando hat also einige Ratschläge dabei, die vielleicht auch euch helfen können.

Im ersten Teil des Interviews sprach Nando über seinen Job, was er überhaupt den ganzen Tag macht, wofür Digital Streetwork wichtig ist und wie ihr selbst digitaler Streetworker werden könnt.

Anonymität ist ein sehr großer Faktor im Gaming

Mark von MeinMMO: Gibt es Probleme ausschließlich im Gaming, die du so nicht von reddit oder den anderen Socials kennst?

Nando: Ich glaube, dass dieser Punkt Anonymität in Games nochmal viel stärker ist. Das hast du zwar auch auf verschiedenen Plattformen, aber von dem, was ich mitbekomme, ist das in Games schon ein sehr großer Faktor.

Wenn man zum Beispiel einer gewissen Sparte angehört oder einem gewissen Geschlecht, dann habe ich schon das Gefühl, dass das im Gaming schlimmer ist. Im expliziten Fall, wenn man rausbekommt, dass da eine Frau hinter einem Account steckt, geht es oft sehr schnell in eine bestimmte Richtung. 

Zumindest ich selbst habe da dann schon sehr oft mitbekommen, dass es in eine sexuelle Richtung geht.

Auch im eigenen Subreddit sind die digitalen Streetworker erreichbar:

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Mark von MeinMMO: Würdest du dann sagen, dass, speziell im Gaming, du eher von als weiblich identifizierten Personen kontaktiert wirst?

Nando: Ich kann da aus Datenschutzgründen jetzt gar nicht so genau drauf eingehen, weil wir natürlich auch der Schweigepflicht unterliegen. Aber was das Thema speziell angeht, ja, auf jeden Fall.

Da würde ich aber gerne noch hinzufügen: Durch gesellschaftliche Gegebenheiten ist das Thema „Männer als Opfer“ immer noch ein ganz schwieriges, das auch in der Öffentlichkeit einfach nicht oft behandelt wird.

Damit habe ich mich im Rahmen meiner Bachelorarbeit umfassend befasst. Das hat mit Sicherheit auch Einfluss auf die Arbeit und darauf, wie sich Männer als Opfer geben können, oder eben auch nicht geben möchten.

„Es ist überhaupt nicht schlimm, eine Pause zu machen“

Mark von MeinMMO: Wie machst du, gerade im Gaming, die Personen aus, von denen du glaubst, sie könnten deine Hilfe brauchen? Wie gehst du auf sie zu?

Nando: Da ist es ganz wichtig, dass man eben erst mal dieses Medium „Games“ und auch einfach das Spiel nutzt, um erst einmal eine Gemeinsamkeit zu haben. Die Leute sollen uns da auch erst kennenlernen. Es ist ja ihre Spielwelt und ihr Kosmos und da kommt jemand neues rein, der eben in einer beruflichen, sozialpädagogischen Rolle mitspielt.

Ich mache also zuerst deutlich, wieso ich eigentlich hier bin und was so meine Funktion ist. Da kommt es auf den verschiedenen Plattformen, habe ich gemerkt, auch sehr gut an, immer offen und transparent zu sein und zu kommunizieren, was mein Anliegen ist, und dass das alles ganz ohne Druck ist.

Wir verpflichten ja niemanden dazu, dass er das Angebot annehmen muss. Es ist ein offenes, kostenfreies, anonymes Angebot. Das ist den Leuten auch sehr wichtig. Dass sie wissen, sie können, wenn sie möchten, die ganze Beratung und Unterstützung über, solange es halt möglich ist, anonym bleiben. Das hilft auf jeden Fall.

Nando selbst zeigt sich stets mit einem Lächeln

Mark von MeinMMO: Toxische Communitys und Mitspieler, Frauenfeindlichkeit und Beleidigungen sind in Multiplayer-Titeln leider beinahe Alltag. Welche Ratschläge würdest du Leuten geben, die davon betroffen sind?

Nando: Es ist da gut, wenn man jemand im Umfeld hat, mit dem man einfach auch drüber sprechen kann und das nicht in sich reinzufressen. Weil es auch schnell passieren kann, dass man sich tatsächlich das, was womit man dort angefeindet wird, zu schnell zu Herzen nimmt und man denkt, man macht etwas falsch.

Auch immer den Sinn des Spiels hinterfragen – warum spiel ich etwas? Wieso möchte ich das spielen? Wenn man sich dazu reflektiert und der Grund eben nicht mehr gegeben ist oder das Umfeld nicht mehr da ist, weswegen ich das eigentlich spiele und warum ich mich dort rein begebe.

Dann ist es auch überhaupt nicht schlimm, mal eine Pause zu machen, sich rauszunehmen und sich was anderes zu suchen. Die Kiste auch mal auszuschalten und einen Hard-Cut zu machen, einfach, um dieses negative Umfeld nicht mehr vor sich zu haben. 

Das ist auf jeden Fall ein guter Ratschlag. Oder vielleicht auch mal nur ein Singleplayer-Game zu spielen. Es gibt gute und viele Singleplayer-Titel, wo man sich nur in Ruhe auf sich konzentrieren und nur seine Sachen machen kann.

Und wenn man dann mal wieder Lust hat, auszuprobieren, ob online geht, ist das natürlich auch ok. Aber einfach zu wissen, dass ich eine Alternative habe, wo ich genau mein Ding machen kann, das ist wichtig.

Fast jeder Fünfte findet Gaming-Communitys toxisch oder problematisch (via statista.com).

“Die jungen Leute sind täglich mit verschiedensten Medien konfrontiert”

Mark von MeinMMO: Wie geht ihr mit Videospielsucht bei Jugendlichen um?

Nando: Ich selbst komme aus dem Bereich der Suchthilfe, oder der analogen Suchthilfe. Wie ich eben meinte, das Medium „Spiel“ zu nutzen, ist wichtig. Das ist einfach die Lebenswelt. Die jungen Leute, und auch ich, wir sind ja täglich mit verschiedensten Medien konfrontiert. 

Man muss dann drauf achten, das Medium einfach sinnvoll zu nutzen und wenns dann in Richtung Sucht geht, auch auf die typischen Kriterien zu achten, die es beim Thema Sucht einfach gibt beziehungsweise was genau eine Sucht definiert.

Es gibt immer mal Phasen, wo man ein bisschen mehr zockt und daddelt und vielleicht auch mal exzessiv unterwegs ist. Aber solange das eben eine Richtung hat, die sich ausgleicht und noch gesund ist und man noch seinen anderen Sachen nachgehen kann und ein soziales Umfeld hat, seine Ausbildung, Schule, Studium noch hat und macht und man sich vor nichts flüchtet, hat es auch noch nicht diese Kriterien der Sucht.

Das ist natürlich ein Thema, auch, wenn jemand jetzt viel am Handy ist, viel in Socials unterwegs. Wenn wir einfach merken, dass sich jemand viel damit beschäftigt und wir es als nötig erachten, da mal mit der Person drüber zu sprechen, ganz ungezwungen, dann machen wir das schon. 

Durchschnittliche tägliche Nutzungszeit von Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren von Computer-, Konsolen-, Tablet- und Smartphone-Spielen durch Jugendliche im Jahr 2022 (via statista.com).

Aber wir sagen jetzt nicht „du bist videospielsüchtig.“ Es ist nur wichtig, sich sinnvoll mit dem Medium auseinanderzusetzen. Zu hinterfragen, wofür nutze ich sie? Wofür brauche ich sie wirklich? Was ist überhaupt sinnvoll? Das sind auch Fragen, die wir öfter direkt von den Leuten bekommen.

Wenn ich da dann wieder die Verknüpfung zu der analogen Arbeit sehe, ist das das Gleiche. Man nutzt eben den Zugang, den man bekommt. Das ist in der normalen Streetwork ja auch so, du gehst da in den Bereich mit rein und bist in der Lebenswelt drin. Viele Streetworker sind dann eben auch auf der Straße unterwegs, in diesem Sozialraum.

Genau da gehen wir ja auch rein. Und versuchen eben, über das Medium Videospiel, in dem die Leute ja sind, einen Zugang zu finden. Da dann den Kontakt aufzubauen und mit den Leuten zu sprechen und, wenn es gewünscht ist, das vielleicht alles ein wenig zu entzerren.

„Man muss sich mit der Thematik auseinandersetzen und das Medium Videospiel richtig durchleuchten“

Mark von MeinMMO: Häufig stolpere ich im Netz und in Games über Jugendliche, deren Eltern ihnen das Zocken komplett verbieten möchten, sie diese Spiele aber als Rückzugsort nutzen. Welchen Rat würdest du den Jugendlichen, aber auch den Eltern in einer solchen Situation geben?

Nando: Wenn ich überlege, wie das bei mir früher war, mit meiner Mutti, da ist das oft so, dass sie sich noch nie so richtig mit dem Medium auseinandergesetzt hat. Gerade für Eltern ist es wichtig, dass man darüber spricht und die Eltern auch wissen, was genau die Kinder spielen. 

Die müssen sich dann auch wirklich mit dem Medium beschäftigen und ein sinnvolles Maß finden. Dazu dann auch mit dem Kind sprechen, das ist ganz klar. Was ist dem Kind daran wichtig? Wieso hat es Spaß daran? Wieso hat das so eine große Bedeutung für mein Kind? 

Auch in Games kann man einfach mal was Schönes machen:

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Da dann auch gemeinsam mit dem Kind zu reflektieren. Darüber zu sprechen und ihm natürlich auch die Zeit zu geben, die es braucht. Gleichzeitig aber auch darauf zu achten, wie viel Zeit es eben dort verbringt. Es sind ja auch nicht alle Menschen gut im Internet, auch nicht in Games. Die Eltern müssen einfach einen guten Umgang zu den Games pflegen und natürlich auch mit den Kindern.

Da dann auch der gleiche Ratschlag für die Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Fragt euch, wieso ist mir das Spiel wichtig? Wieso möchte ich dort Zeit verbringen? Aber auch nicht aus den Augen zu verlieren, dass die Eltern ja nichts einfach verbieten wollen. Denen ist eben wichtig, wo ich mich aufhalte und was ich mache.

Einfach miteinander zu kommunizieren. Das hört sich immer leichter an, als es ist, aber das ist sehr wichtig.

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Informationen über das Medium selbst sind sehr relevant

Mark von MeinMMO: Die Aussage „Dein schlechtes Verhalten oder deine Probleme kommen nur vom Zocken“ haben sicher einige Leute schon oft gehört. Was sagst du dazu? Siehst du Videospiele eher als Problem oder als Hilfe und Werkzeug zur Besserung?

Nando: Man muss sich einfach mal richtig mit der Thematik auseinandersetzen und das Medium Videospiel richtig durchleuchten. Sehen, was da auch einfach für Möglichkeiten sind und wieso das gut ist und auch wieso das schlecht ist.

Ich finde, das ist nun mal die Lebenswelt der Jugendlichen. Das muss man akzeptieren und auch so sehen, dass es eben Unterhaltungsmedien sind. Da nutzt ja auch jeder einen anderen Zugang oder eine andere Plattform für seine Unterhaltung, oder um etwas anzugucken.

Wenn man die Inhalte nicht filtert und sich nicht informiert, dann würde ich auch schon sagen, die Erfahrung mache ich ja fast täglich, dass es dann auch in eine schlechte Richtung gehen kann.

Kann man das aber sinnvoll nutzen und eben richtig einsetzt, sind Games auf jeden Fall auch eine gute Methode, um sich abzulenken. Wenn man da ein schönes Spiel hat und ein, zwei, drei Stunden darin abtauchen kann, solange man das eben noch kontrollieren kann, ist das eine gute Methode, auch mal die schlechten Sachen zu vergessen.

Gerade wenn man für sich sagt: „Ich kann mich damit gerade nicht beschäftigen und ich brauche jetzt eine Pause, ich brauche mal was Positives für mich“, dann ist das sehr gut und dann sollte man das auch nutzen. Solange man dann nach eben zwei, drei Stunden auch sagen kann: „Okay, jetzt hab ich dieses Medium genutzt und jetzt kann ich meine Sachen wieder angehen.“

Das ist ja am Ende auch nur ein Hobby. Deswegen finde ich einen bewussten Umgang damit dann auch sehr sinnvoll.

Wir bedanken uns bei Nando und dem Team Digital Streetwork für das Interview.


Hattet ihr selbst schon einmal solche Erfahrungen? Können euch die Tipps von Nando vielleicht selbst helfen? Schreibt es uns gerne in die Kommentare hier bei MeinMMO.

Für die deutsche Band Saltatio Mortis ist übrigens gerade die Community das Beste am Gaming. “Es gibt nichts Geileres als Interaktion mit anderen Spielern”

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Majora

Im Grund Stimme ich seinen Ansätzen zu. Finde es allerdings schwierig, Leute zu fragen warum sie etwas spielen oder warum gerade das Game. Das macht kaum jemand so bewusst bei einem Hobby, egal ob Games, Fußball oder andere Hobbys. Wenn man zu viel nach dem Sinn fragt, sorgt das nur dazu das die Antwort Negativ ausfällt, das sorgt für Unbehagen was wiederum dazu führen kann, dass man noch weniger darüber nachdenkt wie oder warum man was spielt, um der Frage nach dem Sinn auszuweichen.

Ich denke auch das es für sein Hobby nicht so ein strengen Blick auf die Uhr braucht. Man lebt ja so schon nach einem Alltag der einem sagt wann man was bis wann zu tun hat. Hobbys sind ja im Grunde ein Gegengewicht zum stark strukturierten Alltag. Eben weil es zwanglos ist.

Die Antwort auf die Frage nach dem warum ist hier nur, “na weil es mir Spaß macht Punkt”

Meiner Meinung nach kann man bei allem Fragen warum man es denn ganz genau tut. Da wird selbst arbeiten und das Leben an sich bedeutungslos. Man arbeitet um zu leben und lebt um zu Arbeiten, vom Fließband in die Urne quasi. Schon ist die Midlife-Crisis entstanden bzw vorprogrammiert.

Aber sonst ein super Artikel. 🙂

Sgt Fischblick

Bei einer Sucht ist der normale Tagesablauf ja gestört bzw. eines der Symptome. Wenn ich jeden Tag stundenlang ins Gym renne und dadurch mein normales Leben vernachlässige (Arbeit, Freunde, Familie), dann ist es kein Hobby mehr, sondern Sucht. So verhält es sich beim Zocken ja auch und steht ja auch so im Artikel. Es wird Phasen geben, da werde ich mehr spielen und dann wieder weniger, aber es ist halt wichtig, daas man sich im Griff hat.

Ich denke, dass es wichtig ist, sein Gaming zu hinterfragen und es hat mir auch geholfen. Wir haben 2010 in einer Gruppe von Freunden mit League of Legends angefangen und hatten einige Jahre Spaß. Irgendwann habe ich es viel alleine gespielt und wurde oft beim Spielen aggressiv und war danach schlecht gelaunt. Als ich merkte, dass es auf mein privates Leben Einfluss hat, habe ich mich hinterfragt, wieso ich es noch spiele. Im Endeffekt habe ich es gespielt, weil es früher als Gruppe Spaß gemacht hat und ich weiterhin dieses Gefühl haben wollte. Aber alleine hat mir das toxische Umfeld den Spaß genommen und ich war besser dran ohne League.

Zuletzt bearbeitet vor 1 Jahr von Sgt Fischblick
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