Hobby-Monster Cortyn erzählt aus dem Nähkästchen und erklärt, warum der Tod des asymmetrischen Shooters Evolve (2015) auch nach Jahren noch Spuren hinterlassen hat.
Wer MeinMMO schon seit einigen Jahren verfolgt, der weiß, dass wir eine Vielzahl von Spielen begleitet haben. Das sind nicht immer nur die gerade angesagtesten Games, sondern auch die, an denen die Autoren ein besonders hohes Interesse hatten. Aus diesem Grund, aus persönlichem Interesse, habe ich 2015 eine Weile lang über Evolve berichtet.
Und Evolve war aus meiner Sicht nicht weniger als das perfekte Spiel.
Wer keine Ahnung hat: Evolve war ein Vorreiter im Bereich der modernen, asymmetrischen Spiele. Vier Jäger mussten zusammen gegen ein Monster antreten, alle fünf Figuren waren jeweils von Spielern gesteuert. Zu Beginn einer Partie war das Monster schwach, musste sich verstecken und fressen, um auf neue „Stages“ mutieren zu können. Später änderte sich das Gleichgewicht der Runde und die Jäger sind in der Defensive, wenn sie das Monster nicht frühzeitig ausschalten.
Ich war nicht nur gut – Ich war verdammt gut
Ich war nicht gut in Evolve. Ich war verdammt gut. So gut, dass ich zwischenzeitlich auf der Europa-Rangliste auf Platz 2 mit dem Goliath als Monster stand und das auch nur, weil der Spieler auf Platz 1 bei einer drohenden Niederlage immer schnell einen Disconnect vorgetäuscht hatte und Evolve das dann nicht als Niederlage wertete (So viel zu „Das Spiel war perfekt“ – Ihr merkt’s sicher schon, ich neige zur nostalgischen Verklärung).
Ich kannte jeden Stein, jeden Busch und jedes Wildtier auf der Karte.
Ich wusste exakt, welche Route ich einschlagen musste, um an die stärksten Buffs zu kommen und auf den Hunger-Punkt genau die Entwicklung zur nächsten Stufe einleiten zu können. Ich war dabei so effizient, dass ich auf der Hälfte der Karten die Mutation bereits einleiten konnte, bevor die Jäger überhaupt gelandet waren.
Ich wusste, wo der perfekte Ort für einen Hinterhalt ist, wo ich mich in einen Strauch stellen und ducken konnte, sodass die Jäger einfach an mir vorbeiliefen. Ich wusste genau, welcher Abhang für mich nur ein Sprung ist, aber die Jäger fast ihr ganzes Jetpack aufbrauchen würden.
Wenn das Monster atmete, atmete ich auch
Ich kannte jeden Kniff. Ich wusste, welche Schlaganimation ich so zeitlich abstimmen musste, wenn ein Jäger down geht, sodass mein Goliath ihn kurz anhebt und dann wenige Meter weit trägt. Das konnte reichen, um den dann einfach eine Klippe runterfallen zu lassen. Und ich kannte jede einzelne dieser Stellen, an der das möglich war.
Ich habe das Spiel geatmet.
Nein, nicht nur im übertragenen Sinne.
Wenn mein Monster einatmete, um die Welt um sich herum nach Jägern und anderer Beute zu „scannen“, dann nahm auch ich vor dem PC einen tiefen, angespannten Atemzug.
Nach 2 Wochen und viel näher an der „200-Stunden-Spielzeit-Grenze“, als ich hier zugeben mag, gab es auch einfach niemanden, der mich besiegen konnte. Zumindest nicht, wenn ich mir nicht selbst ein Handicap auferlegt hatte. Immer öfter spielte ich Matches nur noch mit Einschränkungen wie „Ich darf keine Kreaturen-Buffs benutzen“, „Schon auf Stage 2 muss ich gewinnen“ oder „Ich darf nur 2 von 4 Fähigkeiten verbessern“.
Ich war selbstsicher, hatte aber auch ein extrem hohes, spielerisches Niveau. Und ihr wisst ja: Niveau sieht nur von unten wie Arroganz aus.
Spaß beiseite. Ich war wirklich gut und echt stolz darauf. Es hat mir ungeheuer viel Spaß gemacht.
Mein ganzes Leben drehte sich um Evolve
War das ein bisschen krankhaft? Nun, vermutlich. Ich habe fast meinen ganzen Tag danach ausgerichtet, meine Spielzeit in Evolve irgendwie maximieren zu können, einfach weil ich so viel Spaß hatte, wie noch nie in einem PC-Spiel zuvor. Ich hab das Schreiben meiner Artikel für die Arbeit so geplant, dass ich schnell was kochen konnte, während ein Kollege meinen Artikel gegenlas. Ich hab’ jede andere spielerische ‘Verpflichtung’, wie etwa meinen WoW-Raid, für die Zeit vollkommen abgeschrieben. Und Sonnenlicht habe ich in den zwei Wochen auch nicht gesehen.
Genossen habe ich es trotzdem und zwar jede Minute davon. Ich habe davor und auch danach nie wieder ein Spiel so „gefühlt“, wie das bei Evolve der Fall war. Egal ob es ein spannendes Horror-Spiel, ein packendes JRPG oder eher cineastische Spiele wie Heavy Rain oder Detroit: Become Human waren. Nicht einmal mein geliebtes Rollenspiel in World of Warcraft kam an diese immersive Erfahrung von Evolve heran.
Furchtbare Kommunikation ruinierte erst das Image von Evolve – dann das ganze Spiel
Leider begann der Traum von meinem schönen Evolve dann deutlich schneller zu zerfallen, als mir lieb war. Auch wenn ich, selbst jetzt in Retrospektive, die DLC-Politik echt okay fand, hat der Publisher das schrecklich schlecht aufgezogen. Evolve wirkte durch schlechte Kommunikation wie ein „Rip-Off“, bei dem jeder Content zusätzlich gekauft werden musste und man Hunderte zusätzliche Euros in das Spiel hätte stecken müssen. Das war nicht der Fall und es hatte schon gar nichts mit Pay2Win zu tun. Doch von diesem Ruf erholte sich Evolve nicht.
Die Spielerzahlen brachen ein, aber auch noch aus anderen Gründen.
Während man als Monster alleine sehr gut spielen konnte, ging das als Jäger nicht. Die Gruppe aus 4 Spielern musste sich extrem gut koordinieren.
Ein einziger Troll im Team konnte das Spiel für alle Beteiligten komplett ruinieren. Egal ob aus Sicht des Monsters oder der anderen Jäger: Wenn ein Jäger eine „Ego-Tour“ durchzog, war der Spielspaß im Keller.
Wer als Jäger in Evolve Spaß haben wollte, der brauchte eine Gruppe aus Freunden, die spielerisch alle auf dem gleichen Niveau lagen. Gelang das, gab es die besten und spannendsten Runden und genau das, was Evolve in seinen glanzvollsten Momenten sein wollte. Egal ob als Monster oder Jäger – wenn die Jäger-Gruppe aus einem Team bestand, das sich absprach, dann war Evolve unvergleichlich gut.
Umso schlimmer war es, wenn das nicht der Fall war. Evolve war einfach kein Spiel, das man mit „Randoms“ mal eben so ein paar Runden zocken konnte – zumindest nicht als Jäger.
Um es zu retten, machten die Entwickler Evolve zum Schatten seiner selbst
Um diesem Trend dann entgegenzuwirken, bauten die Entwickler das Spiel krass um. In Evolve 2.0 änderten sich viele Mechaniken. Das Spiel wurde nicht nur Free2Play, auch viele der Kernmechaniken änderten sich oder verschwanden. Das Fressen von Kreaturen gab plötzlich keine oder deutlich schwächere Buffs, Jäger waren schneller, Monster verloren einige coole Fähigkeiten, es gab deutlich weniger „Mind Games“ und alles war darauf ausgelegt, das Monster viel schneller zu finden und in längere Kämpfe zu verwickeln.
Komplexität und Taktik wurde geopfert, um mehr schnelle, simple Action zu erzeugen. Das hat zwar auch eine Weile Spaß gemacht, war für mich aber nur noch der Schatten dessen, was Evolve einmal sein wollte.
Und dann starb es unrühmlich vor sich her. Die Server wurden leerer, immer häufiger verließen Spieler auf beiden Seiten die noch laufenden Matches und den glorreichen Kampagnen-Modus spielte niemand mehr.
Ich vermisse diesen Kick, den mir Evolve gegeben hat. Ich vermisse es sogar, ein Spiel zu haben, das mich so vollkommen begeistert, dass ich für eine Weile den Großteil meines Lebens danach ausgerichtet habe.
Das hat mich mehr mitgenommen, als ich eigentlich zugeben mag. Evolve war für mich der persönliche Höhepunkt des Gamings. Jedes andere Spiel messe ich in Gedanken ganz automatisch an Evolve und komme fast immer zu dem Schluss: Es ist einfach nicht so gut. Egal ob ich einige meiner aktuellen Lieblingsspiele mit zumindest ähnlicher Thematik, wie Dead by Daylight heranziehe oder JRPGs wie Persona 5 oder Tales of Arise spiele – immer denke ich unweigerlich: „So gut es auch ist, es zieht mich nicht genau so hinein, wie es Evolve getan hat.“
Ich hab jetzt immer Angst, dass ein Spiel bald sterben kann
Dieses „Evolve-Trauma“ führt bei mir aber gleichzeitig auch dazu, dass mir schon im Vorfeld ein die Bereitschaft fehlt, mich überhaupt so bedingungslos in ein Spiel fallen zu lassen. Immer nagt bei mir der Gedanke im Hinterkopf, dass in wenigen Wochen das Spiel bereits tot sein könnte. Auch wenn, rein rational betrachtet, mir natürlich klar ist, dass ich dann trotzdem vorher ein paar Wochen richtig viel Spaß haben könnte, ist das nun so ein Hemmnis, das ich gedanklich kaum überwinden kann.
Ich hoffe, irgendwann, für ein bis zwei Wochen noch einmal diese „Evolve-Phase“ zu erleben, in der mich ein Spiel so vollkommen flasht, dass ich gar nichts anderes mehr tun will. Zumindest für eine Weile. Bis dahin bleibt Evolve eine schmerzliche Erinnerung, die hoffentlich irgendwann von einer neuen, besseren überschattet wird.
Habt ihr auch eine solche Verbindung zu irgendeinem Spiel gehabt? Oder könnt ihr das gar nicht nachvollziehen?
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Bei mir war es Shadowrun Chronicles, bei nem Bro Lego Universe.
Aber ja das ist auch der Grund warum ich in WoW Classic auf die offiziellen Server gewartet habe statt Privatservern. Privatserver sind für mich eine unschöne Alternative sobald die offiziellen Server down sind eben weil sie vom Rechteinhaber down gemacht werden können.
Evolve han ich auch gezock, lief bei mir aber nie so richtig flüssig. Daher hab ich es leider nie richtig verfolgt.
Hunt: Showdown ist ein ähnliches spiel beim mir. Das lebt noch sehr gut. Aber ich kann seither keinen anderen shooter mer zocken. Kein andere shooter treipt meinen puls konstant so hoch!
Toller Artikel, wie von dir gewohnt. Dankeschön!
Das Spielkonzept war total cool, erinnerte an Predator, Alien und Crossover von beiden. Ich hoffe, dass Spiele wie CoD oder ähnlich große das Spielprinzip als Neben-Feature aufgreifen. Bei solchen Größen dürfte sich sowas langfristiger entwickeln und an Kult-IPs kommen die auch gut ran. Das tolle Konzept gehört unbedingt wieder reaktiviert.
Evolve war gut, nur als sie die Monster dann entscheiden totgenerft haben, da viele jäger damit nicht klar kamen hat das Spiel vollends gekillt.
Ich kann es total nachvollziehen. Bei meiner Lieblingsreihe Battlefield ist auch schon lange der Wurm drin. Ich mochte selbst BF V total gerne und auch BF 2042 spiele nach wie vor immer gerne mal ein paar Runden.
Schon BF V wurde in einem Moment fallen gelassen, wo es sich grad zu erholen schien. Und ich sehe BF 2042 wahrscheinlich grad das selbe Schicksal erleiden 😔 wenn die Spieler erstmal weg sind, kommen sie meist nicht mehr zurück
Für mich ist Evolve genau deshalb gestorben. Er kannte jeden Busch jedes perfekte Versteck für Hinterhalte einfach jeden Winkel. Das war einfach so langweilig wenn man nach ein paar Runden schon genau gewusst wo man am besten lang musste. Sowas kann nur funktionieren wenn die Karte nach jeder Runde komplett anders aussieht. Alles andere macht keinen Sinn. Außerdem hat für meine Gruppe, wir waren immer dieselben es einfach keine Herausforderung gegeben. Wir haben zum Teil Monster schneller zerlegt als die Beute finden konnten. Und das war genau der Grund wie ich anfangs geschrieben habe. Wir kannten jeden Winkel der Karte auswendig
Oh ja was hab ich dem nachgetrauert und keiner meiner Freunde wollte es weil es so verhasst war. Dabei hat es nichts verkehrt gemacht es war einfach vor seiner Zeit da, ein Spiel mit Mikrotransaktionen damals das Machwerk kapitalistischer Superschurken, heute doch aber etwas ganz normales. Das Spiel kam einfach zur falschen Zeit nämlich genau dann als das Miktrotransaktionsdebakel diskutiert wurde und wer hats versaut? EA mit Star Wars Battlefront welches im selben Jahr released wurde wie Evolve und wer erinnert sich noch an dieses riesige Shitstorm embargo was aufkam als EA klar machte das man die Figuren aus Lootboxen zieht und sich Karten als Powerups kaufen kann um im Spiel einen Vorteil zu haben? Evolve durfte das ausbaden weil sich dort der ganze Frust entlud 🙁
Fühle ich… ich vermisse Evolve bis heute 🙁 Kommt einfach kein Spiel an das Gefühl ran, das man dort hatte – egal ob als Monster oder Jäger.