WoW-Kolumne: Die letzte Schicht

WoW-Kolumne: Die letzte Schicht

Inzwischen war es die neunzehnte Nacht, die im Immermondviertel begann. Eigentlich ein absurder Name für einen Ort, der mehr als 10.000 Jahre lang weder Licht von der Sonne, noch von einem der zwei Monde erhalten hatte.

Suramar war lange Zeit unter einer Kuppel aus arkaner Magie vom Rest der Welt abgeschirmt gewesen. Erst vor wenigen Wochen war die Barriere aufgelöst worden und die Shal’dorei begannen wieder damit, das umliegende Land zu erobern. Seither traf auch Licht auf die Stadt – richtiges Licht. Nicht jenes, was eine magische Fackel oder ein Feuer erschafft. Richtiges Licht von Sonne und Mond.

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Tel’rius Molderan genoss es. Er hatte gerade seine Stoffrüstung angelegt und blickte aus dem Flur seines Hauses durch das Fenster zum Himmel. Während der Anblick von Sonne und Mond in den ersten Tage noch Unbehagen auslöste, war der Auf- und Untergang der Scheiben rasch zu einem Höhepunkt seines Tages geworden. Als Mitglied der Wache waren die letzten Tage turbulent gewesen, auch wenn es innerhalb der Stadt friedlich und sicher war.

“Aaaarkanschlag!” donnerte die viel zu helle Stimme durch den Raum. Tel’rius musste grinsen. Bald schon würde seine Tochter lernen, dass es mehr brauchte, um einen Zauber zu wirken, als nur dessen Namen auszusprechen. In den meisten Fällen würde das überhaupt keinen Erfolg haben. Aber was wäre er für ein Vater, wenn er Melissa dieses Spiel verderben würde?

Als hätte der klägliche Versuch eines Zaubers wirklich seine verheerende Wirkung entfaltet, drückte sich Tel’rius an die Wand, um mit einem dramatischen Stöhnen zu Boden zu sinken. Für einige Augenblicke blieb er ruhig sitzen, bis er die leisen Schritte seiner Tochter hörte, die durch den Flur getappst kam.

Mit seiner tiefsten Erzählerstimme begann Tel’rius dann zu sprechen: “Und so bezwang die Hohe Arkanistin Melissa Molderan den großen Feind und musste sich fortan nie wieder den Diskussionen stellen, wann eine große Frau wie sie ins Bett zu gehen hat.”

Das besorgte Gesicht wandelte sich rasch zu einem Grinsen. “Und wie viel Arkwein sie trinken darf, bestimmt nun auch keiner mehr!”

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Telrius musste auflachen, während er sich mit der linken Hand vom Boden abstieß, um sich zu erheben und mit der rechten Melissa durch das kurze, schneeweiße Haar zu streichen. “Natürlich, es gilt nur noch ein Hindernis aus dem Weg zu räumen. Deine Mutter wird wohl von keinem Zauber der Welt überzeugt werden.”

Melissa zog einen Schmollmund. Sie hatte seine Augen, glich ansonsten aber viel mehr ihrer Mutter. Blaues Haar, eine niedliche Stupsnase und ein Lächeln, das schon in wenigen Jahren dafür Sorge trägt, dass die heranwachsenden Elfenmänner Ehrenduelle um ihre Freundschaft ausfechten werden.

Mit einem Kopfnicken deutete Tel’rius seiner Tochter in Richtung der Treppe. “Nun aber zurück ins Bett mit dir. Ich muss zur Arbeit und wir wollen doch nicht, dass deine Mutter wach wi-“

“Die ist schon lange wach”, ertönte die dritte Stimme im Haushalt, was sowohl Melissa und Tel’rius zusammenzucken ließ. Ein kurzer Blickwechsel zwischen Vater und Tochter machte klar, dass sie beide in der Klemme steckten.

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Louanne war eine Göttin. Zumindest in seinen Augen. Er hatte nie an alberne Dinge, wie Liebe auf den ersten Blick geglaubt. Aber daran glaubt wohl niemand, bis es ihn dann erwischt. Das lange, glatte Haar, die hellblaue Haut, die feinen Gesichtszüge und das Lächeln, was die beiden Damen im Haus sich teilten. Und natürlich die geschwungenen, perfekten Augenbrauen, deren Regungen schon einen Augenblick zuvor verrieten, was Louanne gerade dachte. Aber das würde er ihr sicher nicht sagen.

Zur Erleichterung der beiden begann Louanne jedoch keine lange Rede, dass man um diese Uhrzeit doch noch bitte ruhig sein soll, weil zivilisiertere Elfen noch schlafen. In ihrem Nachtgewand wäre diese Ansprache auch wohl kaum überzeugend gewesen. Sie machte einige schnelle Schritte durch den Raum, legte ihrem Mann den rechten Zeigefinger an die Stirn und ließ ihn dann nach unten über den Nasenrücken schnippsen. Wie immer, wenn sie ihn rügen wollte, ohne es ganz ernst zu meinen.

“Es ist die letzte Schicht, mein Licht.” Er gab ihr einen kurzen Kuss auf den Mund. Sie mussten sich nur ansehen, um zu wissen, dass sie beide mehr wollten. Doch mit der bereits hellwachen Melissa und der drängenden Arbeit blieb das verwehrt … vorerst.

“Morgen schon sind wir in der Menagerie und zeigen unserer kleinen Arkanistin…” Tel’rius unterbrach sich kurz und deutete mit einem Kopfnicken runter zu Melissa. “… die Monohörner.”

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Mit einem tiefen Seufzen, wie es nur Elfen konnten, die zwischen “Mache ich ihm ein schlechtes Gewissen” oder “Lasse ich ihn ohne Probleme ziehen” abwägten, nickte Louanne schließlich. “Sei dennoch vorsichtig.”

Mit einem aufmunternden Nicken löste er sich von ihr und zwinkerte Melissa zu, die das erwiderte – immerhin waren sie beide einer mächtigen Portion Ärger entgangen.

Im nächsten Augenblick war Tel’rius bereits auf der Straße.

Suramar hatte sich verändert. Nicht nur sah die Stadt im Glanz von Sonne und Monden anders aus, als er es über Jahrtausende kennengelernt hatte, auch die neuen Gäste waren ungewohnt. Die grotesken Wesen der Brennenden Legion bewegten sich durch die Straßen, als wäre es ihre Stadt, als hätten sie alles Recht hier zu sein. Welche Narren. Dabei haben sie es nur der weisen Entscheidung der Großmagistrix zu verdanken, dass sie sich hier aufhalten dürfen. Wenn sie gewollt hätten, dann hätte Elisande die Barriere noch weitere 10.000 Jahre aufrecht erhalten.

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Aber es war nicht an ihm, das zu hinterfragen.

Tel’rius’ Ziel war die Terasse der Ordnung. Er hatte Glück gehabt, beim letzten Tag vor seinem Urlaub nur eine Wachschicht übernehmen zu müssen. Auf der Terasse wurden all jene in arkanen Gefängnissen zur Schau gestellt, die das Gesetz gebrochen hatten. Besonders der Schmuggel von Arkwein hatte zugenommen, gerade unter der ärmeren Bevölkerung. Hier, in den verschiedenen Zellen, konnte jeder Einwohner der Stadt die Schuldigen betrachten und sich selbst davon überzeugen, wie es ihnen erging. Bei geringen Vergehen wurde man nur für wenige Tage eingesperrt. Doch das genügte oft schon, um zu demonstrieren, was ein Arkweinmangel auslöst.

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Es ging so schnell. Wer am Morgen noch gesund und munter war, der sah am Abend bereits verfallen und schwach aus. Mehr als drei Tage machten aus dem Gefangenen einen Verdorrten – dann gab es keine Rückkehr mehr. Innerhalb der Wache nannte man diese Gefangenen oft “Dreier”. Das war gut. Es war besser, von einem “Dreier” zu sprechen, den man tötete, als von der freundlichen Blumenhändlerin Colette, mit der man Jahrhunderte lang befreundet war. Tel’rius hoffte, dass er heute keinen “Dreier” hätte, den er von seinem Leid erlösen musste.

An der Terasse angekommen, beobachtete er die Gefangenen. Es war gut, dass man sie durch die arkanen Barrieren nicht hören konnte. Er bezog seine Stellung mit straffer Mimik, direkt neben den drei Gefangenen, deren Schild anprangerte: “Schuldig für die Kollaboration mit Aufständigen.”

Die Stunden vergingen nur zäh, wie sie es immer tun, wenn man sich auf etwas freut. Zahlreiche Shal’dorei kamen, um die Gefangenen zu betrachten, sie zu beleidigen und auf sie Herabzublicken. Einige, das wusste Tel’rius, kamen auch her, um zu schauen, ob der oder die Liebste noch am Leben war, selbst wenn sie das nicht nach außen zeigen durften. Immerhin hatte niemand Verständnis für Gesetzesbrecher.

Seine Nackenhaare stellten sich auf. Ein seltsames Flackern lag in der Luft. Tel’rius kannte dieses Gefühl, es überkam ihn immer, wenn ein Zauber in seiner Nähe gewebt wurde. Doch wo? Wer zauberte mitten in der Stadt? Wer war so närrisch, in der Nähe des Sanktums der Ordnung einen unbefugten Zauber zu sprechen?

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Dann war es bereits zu spät. Der Arkanschlag zerriss seine Kleidung. Ein Schutzpanzer, zwar nur aus Stoff, doch mit magischen Runen verstärkt, um genau solchen Angriffen standhalten zu können. Der leyblaue Schimmer legte sich über seine Augen, als er panisch die Umgebung nach dem Feind absuchte, den er nicht sehen konnte.

Wer war diese Frau an der Ecke? War das nicht… Anarys? Das Kind von Lady Lunastre? Nein, das konnte nicht sein. Er musste es sich einbilden, die Lunastres würden nie…

Der zweite Arkanschlag zerriss nicht nur die Kleidung. Sein Lunge wurde eingequetscht, als der Brustkorb an mehreren Stellen brach, während gleichzeitig der Bauch aufgerissen wurde und mehr als nur Blut auf die Kacheln der Straße hinabfiel.

Tel’rius brach auf die Knie und suchte nach der Kraft noch um Hilfe zu rufen. Wo waren denn alle hin? Was war geschehen? Hatte er nicht eben noch –

Der dritte Arkanschlag schickte ihn ganz zu Boden.

Als das Leben aus ihm zu sickern begann, bemerkte er noch, dass der Angreifer in seinen Taschen wühlte und die Kontrollkugel an sich nahm, mit der man die arkanen Käfige der Gefangenen entriegeln konnte.

Und dann hatte er einen Gedanken, der Tel’rius so unwirklich klar vorkam, so scharf und greifbar, wie er es in zehn Jahrtausenden nicht erlebt hatte. Einen Gedanken an seine Frau Louanne, an seine Tochter Melissa, an seinen noch ungeborenen Sohn, einen Gedanken an den Urlaub, der heute Abend beginnen würde, an den Freund seiner Tochter, der in Jahren um ihre Hand anhalten würde, an die Sonne und die Monde, die er noch so oft aufgehen sehen würde. Ein Gedanke an die Stadt, an sein Volk, an den Nachtbrunnen, an den Arkwein, an die Dämonen, an Elisande und Azshara, an Colette und all die anderen Dreier.

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Mit diesem wunderbaren, klaren und vollkommenem Gedanken endete Tel’rius’ letzte Schicht.


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Hearn

Toll geschrieben. Freue mich auf die nächste Story aus NPC Sicht.

Fly

Du musst ja ein richtiger Partytiger sein…

Rotoxo

Sehr schöne Kurzgeschichte. Gerne mehr davon :o)

Cortyn

Danke! Wie immer gilt hier: Weitererzählen, denn nur wenn es genug interessiert, kann ich mehr davon machen 🙂

Ida5465

Also dem muss Ich wirklich widersprechen,die Autoren der Seite leisten wirklich sehr tolle Arbeit,was mich auch dazu bewegt die Seite mehrmals am Tag aufzurufen…und grade die Wow Artikel von Cortyn sind sehr sehr toll geschrieben und man merkt das sie wirklich mit Herzblut hinter der Sache steht und sowas sollte respektiert anstatt verpöhnt werden..Und falls du dich das nächste mal hier so auslassen willst achte bitte ein wenig auf die Rechtschreibung,sonst kommt das alles nicht grade glaubwürdig rüber ????

Psycheater

Whoa, da muss aber einer gehörig mit dem falschen Fuß aufgestanden sein. Das man hier sowas liest ist selten. Schade. Aber auch überaus amüsant

Mortifer

Schöne Kolumne! Ich spiel schon lange kein WoW mehr, aber ist mit der Frau die Cortyn gemeint, die für ne Quest den Wächter legt? 😀 haha nice

Cortyn

Danke für das Lob! Aber deine Frage habe ich nicht ganz verstanden. Magst du die ausführen?

Mortifer

Ja, wie gesagt, spiele ich schon länger kein WoW mehr. Ich hab mich einfach gefragt, ob der Angreifer in der Geschichte, sozusagen der Spieler war. Also das Tel’rius einfach ein Quest-Mob ist. Der Part, als du geschrieben hast, das jemand in seinen Taschen wühlt und die Kontrollkugel einsteckt.

Die Geschichte weckt in mir den Gedanken, hey, auch wenn das nur bits ‘n’ Bytes sind, steckt hinter jedem Mob eine Geschichte, eine Familie, ein Schicksal. Halt so in der Immersion. Ich glaube darum mag ich diese Kolumnen so. ^^

Sorry bin ein wenig reizüberflutet durch den Nachtdienst. War heute zwar nicht stressig, aber extrem nervig. 😀 So ist das halt, wenn man in der geschlossenen arbeitet. lol

Cortyn

Exakt das war der Aufhänger für die Geschichte, ja. Der Spieler, der vorbeikommt, um seine 4 Gefangenen für die Daily zu befreien.

Mortifer

Du hattest wohl einen überaus schlechten Tag. Ohje!

Koronus

Richtig gut. Aber wo steht denn, dass man innerhalb von drei Tagen zum verdorrten wird?

Cortyn

Nirgendwo. Das ist eine Freiheit, die ich mir genommen habe (und die sich auch zumindest grob mit den Quests deckt).

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