Eine deutsche Orbitalrakete schickt sich an, von Großbritannien aus Geschichte zu schreiben

Eine deutsche Orbitalrakete schickt sich an, von Großbritannien aus Geschichte zu schreiben

Das Starship von SpaceX ist in aller Munde, doch kennt ihr eines der deutschen Vorzeigeprojekte der Raumfahrt? Wir stellen euch ein Unternehmen und seine Rakete vor, die sich gemeinsam anschicken, Elon Musk aus Europa mit Hightech zu antworten.

Was ist das für eine deutsche Rakete? Die Rocket Factory Augsburg (RFA) hat eine Orbitalrakete entwickelt, die inzwischen vor ihrem Jungfernflug steht, und zwar von Unst aus. Dort am SaxaVord Spaceport herrscht diesen Sommer reges Treiben vor idyllisch-rauer Szenerie.

Während am Fuße der Steilküste die Brandung schäumt, laufen oben Tests für den flammenden Ritt gen Orbit. Verantwortlich für das Spektakel werden hochmoderne Triebwerke sein, die denen aus den USA in (fast) nichts nachstehen.

Noch vor dem Herbst soll die RFA One getaufte Rakete erstmals abheben und in diesem Zuge den ersten Weltraumbahnhof im Vereinigten Königreich einweihen.

Von hier aus soll die RFA One erstmals abheben, der SaxaVord-Spaceport. Bildquelle: RFA

Jenseits des Atlantiks in Texas läuft hingegen schon seit Jahren eine bisher nie dagewesene Privatindustrie auf Hochtoren: Elon Musk baut dort mit SpaceX am lang gehegten Traum, dem Starship als größte Rakete aller Zeiten. Damit sollen Mond und schließlich auch Mars für die Menschheit erschlossen werden. Nach drei Testflügen rückt das Ziel zusehends in Reichweite.

In Deutschland verfolgt ein Unternehmen bescheidenere Ziele. Wir erklären euch alles Wichtige zur RFA One und wieso auf ihr Hoffnungen einer jungen Branche ruhen, die in Deutschland für Jahrzehnte quasi brach gelegen hat. Deutschland will Anteil haben an einem der Wirtschaftssektoren der Zukunft: der kommerziellen Raumfahrt.

Was ist die RFA One?

Die RFA One ist eine 30 Meter hohe und zwei Meter durchmessende Orbitalrakete soll. Sie kann rund 1,3 Tonnen in eine niedrige Erdumlaufbahn (LEO) bringen. Hier finden sich eine Vielzahl an denkbaren Nutzungen von Satelliten, zum Beispiel Erd- und Wetterbeobachtung.

Muss sich SpaceX fürchten? Elon Musk strebt mit seinem von SpaceX gebauten Starship mitsamt Super-Heavy-Booster (höher als 120 Meter und neun Meter im Durchmesser) an, mehr als 100 Tonnen in ähnliche Umlaufbahnen zu bringen.

Dennoch ist der Entwurf der RFA One beachtenswert, denn sie ist die leistungsstärkste Rakete aus Deutschland und setzt auf ein Hightech-Triebwerk (Helix) aus eigener Entwicklung sowie das Knowhow der Luxus-Automobilindustrie.

Angestrebte Serienfertigung

Stahl und Teile von Luxus-Autos werden zur Orbitalrakete: Bei der Fertigung setzt RFA ähnlich wie auch SpaceX nicht auf Verbundwerkstoffe, sondern auf Stahl. Dieser ist kostengünstiger. Zudem kommen, um die Kosten für die Triebwerke zu reduzieren, modifizierte Teile von Zulieferern für deutsche Luxus-Limousinen zum Einsatz. Der Hauptvorteil: bewährte Serienfertigung senkt auch hier die Kosten.

Denn primär für die Raumfahrt entwickelte, gebaute und in geringer Stückzahl gelieferte Spezialkomponenten schlagen mit einem Vielfachen zu Buche.

Noch ist der Start nicht erfolgt, aber in etwa so wird das Spektakel ausschauen, sobald der SaxaVord-Spaceport erstmals dank der RFA One seine Bestimmung erfüllt. Weiter unten findet ihr auch ein Start-Rendervideo sowie einen feurigen Test der Triebwerke. Bildquelle: RFA

Hierdurch wird die RFA One zu einem Produkt der New-Space-Industrie, das Musks Unternehmen bei leichteren Lasten europäischer Kunden wirtschaftlich gefährlich werden könnte. Kleinere Satelliten (maximal 500 Kilogramm schwer) könnte die deutsche Rakete effizient und günstig in die Umlaufbahn bringen, verspricht RFA.

Was ist mit der Ariane-Rakete? Deutschland ist an der Ariane 5, wie auch an vielen weiteren internationalen Raumfahrtprojekten, zentral beteiligt, aber sie ist keine deutsche Rakete. Gebaut wird die Ariane nämlich durch ein Tochterunternehmen von Airbus – einem europäischen Konsortium.

Zudem bewegt(e) sie sich in anderen Marktsegmenten. Sie war weit teurer und auch leistungsfähiger. Gleiches gilt für die derzeit entstehende Ariane 6. Sie liegt leistungsmäßig zwischen der RFA One und dem Starship, in etwa gleichauf mit der Falcon 9 von SpaceX. Allerdings sind bisher nur die Musk-Raketen wiederverwendbar. RFA plant dies für die Zukunft.

Derzeit laufen noch die Vorbereitungen für den Erstflug. Aber ein Rendering vom Jungfernflug haben wir schon hier für euch als Video:

Raketentriebwerke einfach erklärt, die Kurzform

Ist die RFA One bemerkenswert, sticht das Triebwerk als Unikat hervor. Es ist das erste seiner Art aus der Europäischen Union. Doch um das zu verstehen, lasst uns kurz die Grundlagen festigen:

Wie funktionieren Raketentriebwerke? Egal ob die ersten Raketenmotoren, die die berüchtigten V-Terrorwaffen des Dritten Reiches antrieben oder das weltweit modernste Triebwerk namens Raptor von SpaceX, sie alle setzen auf das gleiche Prinzip: Druckausgleich.

Es geht immer darum, Materie aus unter Druck stehenden Tanks möglichst schnell durch eine Düse austreten zu lassen. Wir sind seit den 1940ern im Prinzip nur in der Lage sehr viel effizientere sowie stärkere Triebwerke zu bauen.

Überdruck dank Pumpen: Um den Druck zu steigern, kommen bei allen heutigen Triebwerken Turbopumpen zum Einsatz. Dieser pressen quasi zuvor verdichtetes Material in die Brennkammer, wo Treibstoff und Sauerstoff vermischt und entzündet werden und sich so explosionsartig ausdehnen. Das sorgt für den enormen Schub.

Allerdings müssen die Pumpen angetrieben werden und das geschieht durch extra verbaute Turbinen. Gespeist werden diese aus den normalen Tanks, mit deren Inhalt die Rakete auch in den Orbit gebracht wird. Dabei geht aber bei herkömmlichen Verfahren, wie zum Beispiel bei den Merlin-Triebwerken der Falcon 9, möglicher Schub verloren, da ein Teil des Brennstoffs als Abgas entweicht. Der Großteil aller Raketenstarts erfolgt heutzutage durch solche Triebwerke mit einem offenen Verbrennungszyklus.

Die RFA One mit grafisch aufgeklappten und abgetrennten Stufen. Bildquelle: RFA

Das Helix-Triebwerk: Hightech aus Deutschland

Was macht das Helix anders? Das Helix setzt auf einen gestuften Verbrennungszyklus (Closed Staged Combustion Cycle). Hierbei entweichen keine Abgase vorschnell aus dem Triebwerk. Alles an Material kommt in der Brennkammer an. Das ist deutlich effizienter.

Der Startort hat historische Bedeutung
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Wer sich mit Geschichte auskennt, mag die interessante Ironie der Partnerschaft zwischen Augsburg und dem Vereinigten Königreich erkennen. Einst terrorisierten die V-Raketen des Dritten Reiches England. Angetrieben wurden sie von nichts anderem als den Vorläufern aller modernen Motoren für Trägerraketen. In der Zukunft soll eine der Hoffnungen der deutschen Raumfahrt vom Land des einstigen Feindes gen Orbit starten – der größte Fortschritt findet sich halt allzu oft in gelebter Kooperation.

Es gibt nicht viele solcher Triebwerke. Die Sowjets waren hier lange führend. Heutzutage setzen vor allem die USA abseits von SpaceX auf diese Technik. Das Space Shuttle nutzte das RS-25 erstmals und noch heute setzt die NASA beim Space Launch Systems (SLS) auf das bis weiterhin als exzellent geltende Produkt. Jeff Bezos verkauft und nutzt das durch seine Firma Blue Origin neu entwickelte BE-4-Triebwerk. Das Helix reiht sich in dieser Güteklasse ein.

Und was ist jetzt mit dem Raptor von SpaceX? Das Raptor steht noch eine Stufe darüber. Es ist der heilige Gral chemischer Triebwerke. Es nutzt einen Gesamtfluss-Verbrennungszyklus (Full Flow Staged Combustion Cycle). Die Effizienz ist noch einmal höher, da Treib- wie Sauerstoff komplett gasförmig in der Brennkammer ankommen. Eine genauere Erklärung würde hier zu weit führen.

Wer sich tiefer in die Thematik einlesen möchte, findet einen längeren Artikel ausschließlich über Raketentriebwerke bei unseren Kollegen von GameStar-Tech.

Es folgt ein Video von einem Hot-Fire-Test der ersten Stufe der RFA One. Das ist, wonach es klingt: Es wird feurig. Alle vier installierten Helix-Triebwerke werden für längere Zeit gestartet und über verschiedene Leistungsstufen hinweg geprüft.

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In der finalen Konfiguration werden neun Stück davon die Rakete gen Orbit bringen, ehe die zweite Stufe übernimmt und die Nutzlast mit einem einzelnen Vakuum-optimierten Helix weiter in die Zielumlaufbahn hebt. Zum Schluss kann eine dritte Stufe mit einem Mini-Triebwerk weitere Anpassungen des Orbits vornehmen, um zum Beispiel mehrere Nutzlasten nacheinander auszusetzen.

Gibts noch andere deutsche Raketen? Ja, die gibt es. Abseits von RFA entwickeln und bauen derzeit auch Isar Aerospace sowie HyImpulse an Orbitalraketen. Letztere sind zuletzt sogar in Australien erstmals abgehoben, allerdings mit einer weit kleineren und schwächeren Testrakete im Vergleich zur RFA One.

Aber spannend sind die beiden Konkurrenten dennoch. So setzt HyImpulse auf Kerzenwachs und Isar Aerospace auf Fertigungsverfahren wie 3D-Drucker, auch wenn ihre Spectrum-Rakete weniger leistungsstark ist als die RFA One.

Wenn es euch interessiert, können wir euch die beiden Unternehmen und ihre Raketen auch gerne vorstellen oder möchtet ihr mehr zum Starship von SpaceX lesen? Schreibt es uns doch mal in die Kommentare! Wer nun auf den Geschmack gekommen ist oder ohnehin schon lange regelmäßig gedanklich in die Weiten des Weltalls abschweift, der sollte sich unsere Empfehlungen für Filme anschauen, die Interstellar ähneln.

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