Für einen Kuss der kosmischen Schrecken war MeinMMO-Dämon Cortyn bereit, euch alle sterben zu lassen. Es ist genau so passiert und war jedes Leben wert.
Ihr wisst von mir ja inzwischen, dass ich auch vor sonderbaren Spielen nicht zurückschrecke. Ich mag finstere Wesen und Mythen mit großen kosmischen Bedrohungen im Stil von C’thulhu aus dem Lovecraft-Universum. Aber auch eine gute (oder witzige) Dating-Sim kann mich überzeugen.
Als ich den Trailer zu „Sucker for Love – First Date“ sah, wusste ich, dass das Spiel genau nach mir gerufen hat.
Die Ausgangsposition ist recht einfach erklärt: Der Protagonist hat ein klares Ziel, das er erfüllen will. Er will ein mächtiges Wesen beschwören. Eine Kreatur aus den hintersten Winkeln des Kosmos. Einen „großen Alten“, dessen Erwachen die Welt in Finsternis stürzen würde und alles Sein in einer Kakofonie des Grauens verenden lassen würde. Wenn dieses Wesen erst einmal beschworen ist, will er einen Kuss davon.
Ja, richtig gehört. Er hat keine Ambitionen in Hinblick auf besondere Kräfte oder irgendwelche Pakte, um sich zu bereichern. Es soll einfach nur ein Kuss der kosmischen Entität sein.
Die drei kosmischen Monster
Sucker for Love bietet die Möglichkeit, drei verschiedene kosmische Wesen zu beschwören, alle haben vertonte Dialoge und unterschiedliche Persönlichkeiten mit eigenen Geschichten und jeder Menge Wahnsinn.
Ln’eta ist wohl das, was am ehesten an C’thulhu heranreicht. Ein riesiges Tentakel-Ungeheuer, dessen Erwachen das Ende der Realität bedeutet. Auf der einen Seite ist sie ziemlich niedlich und fürsorglich – auf der anderen Seite eine „Yandere“-Persönlichkeit, die es nicht duldet, wenn man auch andere kosmische Götter trifft.
„Der Goldene König“ Estir ist die Verkörperung des Lichts vom Planeten Carcosa und führt sich wie eine Majestät auf, die einfach einfordert, dass man ihr dient. Sie liebt es, Ln’eta die Anhänger auszuspannen und hat ein Faible für exakt aufgeführte Theateraufführungen und willenlose Sklaven, die ihr jeden Wunsch von den Lippen ablesen.
Nyanlatothep ist das mächtigste Wesen der großen Alten und taucht in zahllosen Gestalten auf; für uns in der eines übergroßen Katzenwesens. In moderner Internetsprache ist sie wohl das, was man als „Dommy Mommy“ bezeichnet und gleichzeitig das unheimlichste dieser Wesen. Aber wir nennen sie ja liebevoll „Tante Nyan Nyan“.
Um es mal ganz bescheiden zu sagen: Ich habe jede Sekunde mit den dreien geliebt, auch wenn ich dafür manches Mal die Realität, die Menschheit oder die Zeit ausgelöscht habe. War’s einfach wert.
Rituale für die Göttinnen des Kosmos
Um Ln’eta und die anderen großen Alten zufriedenzustellen, muss man nach ihrer Ankunft eine Reihe von Ritualen durchführen.
Die Rituale und interagierbaren Objekte sind – neben den Dialogen – auch das einzige Gameplay-Element. Es ist eben im Kern eine Visual Novel, die eine Geschichte mit einigen Abzweigungen erzählen will.
Immer wieder muss man im Buch nachschlagen, was für ein Ritual benötigt wird. Muss man eine besondere, okkulte Maske tragen? Darf der Raum erhellt sein? Müssen Poster von der Wand verschwunden sein? Braucht man einen Ritualdolch? Wie lautet die Formel, die man rezitieren muss?
Die Rituale werden immer komplexer und auch die Toleranz für Fehler geringer. Im zweiten Kapitel kann ein einziger Fehler bereits zum „Game Over“ führen – oder dazu, dass das angebetete Tentakelmonster uns nicht als würdig erachtet und dem Protagonisten die Lebenslichter auspustet.
Und weil ein weltenverschlingendes Monster nicht genug ist, versuche ich natürlich auch mal, zwei parallel von mir zu überzeugen, mache dabei aber den Fehler, dass sie plötzlich gemeinsam im Raum stehen und ein „ernstes Wörtchen“ mit mir reden wollen.
Was witzig klingt und im ersten Augenblick auch lustig ist, hat aber eine klare Horror-Komponente. Denn während Rituale ausgeführt werden, um unsere „Herzensdame“ glücklich zu machen, verändert sich nicht nur die Welt, sondern auch der Protagonist.
Im Badezimmer kann man jederzeit das eigene Gesicht waschen und entkommt dann für wenige Sekunden der Illusion des Wahnsinns. Der eigene Körper ist von Blut besudelt, die Haut wurde vom Gesicht gezogen, die Augen sind ausgestochen oder der ganze Unterkiefer abgetrennt. Irgendwie auch logisch, immerhin hat man bei den meisten Ritualen doch einen Dolch dabei gehabt, um sich mehr und mehr dem Wahnsinn zu öffnen.
Wer „Doki Doki Literature Club“ gespielt hat, kennt diese Art des Horrors bereits. Das eigentlich niedliche, amüsante Spiel wird von Grausamkeiten durchbrochen. Ein kurzer Blick durch das Fenster offenbart die Schreie der sterbenden Menschen, während Körperteile vom Himmel regnen und ungeahnte Schrecken aus den schlimmsten Albträumen ihren Tribut fordern. Das hat sogar ein paar recht düstere Jumpscares und verstörende Artworks.
Doch diese kurzen Schreckensmomente verschwinden rasch wieder, wenn Ln’eta, der Goldene König oder Nyanlatothep von uns die nächste Opfergabe verlangen, wir unserem Kuss ein Stück näher kommen und die eigene Menschlichkeit etwas mehr aufgeben.
Der Protagonist hat übrigens eine idiotensichere Methode, um herauszufinden, ob die Person ihm gegenüber ein kosmisches Monster ist. Sie sollen einfach versuchen, den Namen „Worcestershire Sauce“ korrekt zu betonen – und wenn das gelingt, ist der Fall eindeutig. Das ist nämlich ein Lehnwort aus der Sprache dieser Eldritch-Kreaturen. Warum sonst wäre es so geschrieben?
Fazit: Eine abgedrehte Visual Novel, die Lovecraft-Horror alle Ehre macht
„Sucker for Love – First Date“ hat mich ziemlich überrascht. Nach dem Trailer dachte ich eigentlich, dass das Spiel so trashig ist, dass man es nur mögen kann, wenn man auf schlechte Spiele steht. Aber das war nicht der Fall. Die Dialoge sind erstaunlich gut und unverbraucht. Der Humor ist immer ziemlich treffend und manche Gespräche haben erstaunlich tiefe Thematiken und behandeln einige Konzepte zu „Realität“ oder „Angst“, über die man noch eine ganze Weile nachdenken kann.
Trotz all der Absurdität, so einen „Eldritch Horror“ küssen zu wollen, ist das ganze Spiel eine ziemlich geniale Darstellung dieser schrecklichen Kreaturen. Wenn ein Kultist einen solchen Fanatismus an den Tag legt, dass er von diesen kosmischen Kreaturen „geliebt“ werden will, wäre das wohl eine ziemlich überzeugende Variante des Wahnsinns, die er dabei erleben könnte.
Es handelt sich bei Sucker for Love nicht um eine Parodie der Lovecraft-Schrecken, sondern um eine ziemlich geniale und detailreiche Darstellung dieser Kreaturen in einem etwas anderen Kontext.
Mit einer Spielzeit zwischen 3 und 5 Stunden war ich für den Preis von 8,19 Euro vollkommen zufrieden und kann diese seltsame Erfahrung nur jedem ans Herz legen. Das Spiel liegt gerade auch bei 98 % positiven Bewertungen – die Leute sind sich also einig. Allerdings sind Englischkenntnisse notwendig – denn eine deutsche Version des Spiels gibt es leider nicht.
Und nun entschuldigt mich bitte wieder. Für Ln’eta muss ich meine menschliche Hülle ablegen und meine Arme gegen Tentakel eintauschen. Dann wird das mit dem Schreiben ein wenig schwierig.
In diesem Sinne:
Ln’eta ahf’ art I’ mgepkadishtu nilgh’ri.
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