Viele, die in den 2000er-Jahren im Internet unterwegs waren, sind auf das Video des “Angry German Kid” gestoßen. Darin ist ein Jugendlicher zu sehen, der vor Wut seine Tastatur zerschmettert, weil er kein Unreal Tournament zocken kann. Doch das Angry German Kid heißt eigentlich Norman Kochanowski und sagt: das Video habe sein Leben zerstört.
Was war das für ein Video? Das Video stammt aus dem Jahr 2005 und zeigt Kochanowski, wie er versucht, den Shooter Unreal Tournament zu laden. Als das misslingt, rastet er scheinbar aus, brüllt lauthals und zerschmettert seine Tastatur.
Die Aufnahmen gingen unter dem Titel “Angry German Kid” um die Welt. Doch vielen war nicht bewusst, dass der damals 14-jährige Kochanowski nur eine Rolle spielte. Dem Medienmagazin des NDR, ZAPP, erzählte er nun seine Geschichte.
Videos, die ohne Kontext verbreitet werden, können auch heute immer noch ein seltsames Eigenleben im Internet entwickeln.
Ein Junge mit einer Kamera
Wie war er vor dem Video? Mit 13 Jahren erhielt Kochanowski eine Kamera und begann, mit seinen Kumpels kurze Action-Filme und Parodien auf Rap-Videos zu drehen. Dafür entwickelte er verschiedene Kunstfiguren, wie den “echten Gangster”.
Diese Videos postete Kochanowski online in verschiedenen Foren oder Seiten für lustige Videos – das war noch in einer Zeit vor YouTube. Seine Filmchen kamen gut an und erhielten zahlreiche Aufrufe: ZAPP nennt ihn eine Art frühen Content Creator.
Wie kam es eigentlich zu dem Video? In einem Forum erhielt Kochanowski schließlich ein Angebot: für 300 € sollte er ein Video drehen, in dem er richtig ausrastet. Der Nutzer, von dem der Auftrag stammte, soll damals 17 gewesen sein.
Der 14-Jährige lässt sich auf den Deal ein und produziert das berüchtigte Video. Eigentlich habe er vorher noch dazu sagen wollen, dass es sich um eine gestellte Aufnahme handle. Da sei er aber schon zu sehr in seiner Rolle gewesen, so Kochanowski.
Mit den Folgen konnte er allerdings nicht rechnen: Sein Auftraggeber, der online unter dem Namen Hack-Panther unterwegs war, veröffentliche das Video und stellte es anderen zum Download bereit. Von dort aus wurde es immer weiter verbreitet, verändert und parodiert, landete schließlich auch auf YouTube.
Kochanowski selbst hatte überhaupt keine Kontrolle mehr über die Verbreitung seines Werks, habe sich machtlos gefühlt. Und die Verbreitung nahm bald ziemliche Auswüchse an.
Lustiges Video hat ungeahnte Konsequenzen
Was war das Problem? Das Video ging zu einem Zeitpunkt viral, als in Deutschland infolge mehrerer Amokläufe gerade eine große Debatte um Videospiele mit gewalttätigen Inhalten geführt wurde: die vermeintlichen „Killer-Spiele“.
Schließlich wurde der Film von Kochanowski in einem Beitrag des Focus-Magazin gezeigt: Die bezeichneten ihn als spielsüchtigen “Leopold”, der aus einer Klinik in Amsterdam ausgebrochen sein soll. Plötzlich sei er zum Symbolbild eines jugendlichen Killerspiel-Junkies geworden.
Die Versuche des Jugendlichen, eine Korrektur zu erwirken, sollen fehlgeschlagen sein. Denn in den frühen Jahren von YouTube habe noch jeder frei über die dort hochgeladenen Inhalte verfügen können, Urheberrechtsregelungen gab es noch kaum.
Auch Kochanowskis eigener Versuch einer humorvollen Richtigstellung in einem weiteren Video kann das Narrativ nicht mehr verändern: es folgen Hass-Kommentare im Netz, aber auch Anfeindungen im echten Leben.
Welche Folgen entstanden? Der Jugendliche kommt damit nur schwer zurecht, wird immer wütender. Mit Veränderungen seines Aussehens und seines Looks versucht er, sich von seiner Kunstfigur abzugrenzen, da sei es aber schon viel zu spät gewesen.
Auf einer Klassenfahrt habe Kochanowski schließlich einen echten Amoklauf angekündigt, damit seine Klassenkameraden ihn endlich in Ruhe lassen. Die falsche Drohung hatte jedoch echte Folgen: laut eigenen Angaben wurde er von der Schule verwiesen, zu Sozialstunden und Jugendarrest verurteilt.
Den ganzen Beitrag könnt ihr euch hier oder in der Mediathek der ARD anschauen.
Aus dem Angry German Kid wird ein Gangster-Rapper
Wie ging es weiter? Seine Vergangenheit wurde ihm auch später bei der Arbeitssuche zum Verhängnis, niemand wollte einen vermeintlichen Amokläufer einstellen. Kochanowski zog sich immer mehr zurück, sein Leben habe nur noch aus Krafttraning, Essen und Schlafen bestanden.
Der Sport habe ihm sehr geholfen und schließlich schien sich auch sein Leben zum Besseren zu wenden: er fand einen Ausbildungsplatz, hatte ein tolles Auto und lernte seine erste große Liebe kennen, ging auch wieder mehr aus.
Doch der junge Mann wollte es noch einmal wissen, begann erneut, Videos auf YouTube hochzuladen: das sei halt sein Hobby, seine Leidenschaft. Das ging eine Weile lang gut, bis ihn immer mehr Leute erkannten.
Kochanowski gab zu, das Angry German Kid gewesen zu sein und vermarktete sich gleichzeitig als Rapper. Die Strategie ging auf und er erhielt erneut Aufrufe in Millionenhöhe. Die Grenzen zwischen der realen Person und seinen Kunstfiguren seien jedoch erneut immer weiter verschwommen.
Mit zunehmend härteren Songtexten sei er auch im echten Leben in die Kriminalität abgerutscht und schließlich zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Das sei für ihn dann der Weckruf gewesen, ein normales Leben zu führen.
Wie geht es ihm heute? Der Beitrag endet mit einer positiven Note: Mittlerweile könne Kochanowski die Aufmerksamkeit auf YouTube genießen, habe eine richtige Fanbase. Dennoch zeigt der Fall eindrücklich, welche Folgen unfreiwillige Viralität haben kann – insbesondere in einer Zeit, als noch niemand richtig damit umzugehen wusste.
Die Killerspiel-Debatte kocht auch heute noch immer mal wieder hoch:
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Das waren die guten alten Internet Zeiten, bevor alles aus jeden Grund in irgendeinem ismus oder irgend so einem anderen Neuzeit Mist geendet ist. 😁
Das Internet war irgendwie besser bevor die ganzen Spinner dort angekommen sind. 🤣
Klingt nicht sehr glaubwürdig. Warum jetzt erst darüber reden und nicht schon vor 10 Jahren z.B.? Ganz besonders, wenn sich das Video negativ auf sein Leben ausgewirkt hat. Warum hat er da nicht schon versucht, das klar zu stellen?
Wo ist der Beweis, dass es ein Auftrag war? Sorry, wirkt für mich eher wie eine Schutzbehauptung. Die erst jetzt kommt, da genug Zeit vergangen ist, dass er glaubhaft sagen kann, dass diese Beweise nach der langen Zeit nicht mehr existieren.
Das ist aber nur meine Meinung und wie es auf mich wirkt. Nicht, dass es so sein muss.
Im Endeffekt ist es jetzt scheiß egal. Egal welche Version stimmt… es ist viel zu lange her, als dass es noch von Bedeutung wäre!
Er hat schon vor Jahren darüber Interviews gegeben. Kommt im Artikel vielleicht nicht so rüber. Seine Geschichte ist schon längst bekannt.
Kochanowski ist mittlerweile als ‘Stimme der Straße’ im Frankfurter Bahnhofsviertel unterwegs. Er filmt und interviewt dort die Obdachlosen und Drogenabhängigen um deren Geschichten aufzugreifen und ihnen eine Stimme zu verleihen.