Wargaming-Chef gibt Einblick in 25 Jahre Spiele-Entwicklung: „Gut ist, dass es neue Investoren gibt, die tatsächlich Gamer sind“

Wargaming-Chef gibt Einblick in 25 Jahre Spiele-Entwicklung: „Gut ist, dass es neue Investoren gibt, die tatsächlich Gamer sind“

Zum 25. Jubiläum von Wargaming (World of Tanks) konnte MeinMMO-Chefredakteurin Leya Jankowski ein Interview mit Victor Kislyi ein Interview. Victor reflektiert über schwere Entscheidungen, Freuden und die Zukunft des Gamings.

Vor 25 Jahren gründete ein Student namens Victor ein Gaming-Studio, das wir als Wargaming kennen. Heute ist Wargaming für seine Fahrzeug-Shooter bekannt. Seinen großen Durchbruch hatte das Studio 2010 mit dem Panzer-Spiel World of Tanks und beschäftigt heute weltweit mehr als 3500 Mitarbeiter.

So ein Jubiläum ist Anlass genug, um den Chef mit ein paar Fragen aus 25 Jahren Spiele-Entwicklung zu löchern. Das hier ist der zweite Teil des Interviews, den ersten findet ihr hier:

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Der Großteil der Zeit für „langweilige“ Dinge

MeinMMO: Wie fühlt es sich an, dass Wargaming nun ein Vierteljahrhundert alt ist?

Victor Kislyi: Ehrlich gesagt fühle ich mich immer noch wie ein junger Student in den 90er Jahren, der Spiele spielt. Ich bin immer noch hungrig. Ich will die Welt immer wieder mit etwas Neuem und Aufregendem überraschen.

Natürlich trage ich jetzt die Verantwortung für ein Unternehmen, aber es ist eine angenehme Verantwortung – unsere Spiele zu aktualisieren, sie weiterzuentwickeln, neue Spiele zu entwickeln – die Dinge haben sich also im Vergleich zu damals verändert, aber ich fühle mich noch genauso und habe die gleichen Ambitionen.

MeinMMO: Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei dir aus?

Victor Kislyi: Da wir ein großes globales Unternehmen sind, muss ich einen großen Teil meiner Arbeitszeit mit „langweiligen“ Dingen wie Vorstandssitzungen und anderen Sachen für das Unternehmen verbringen – das sind etwa 15-20 % meiner Zeit.

Die Dinge, die mir in den letzten 25 Jahren am meisten Spaß gemacht haben, sind das Testen von Spielen, Brainstorming-Meetings für das Spieldesign, das Erstellen von Plänen für neue Updates, Upgrades für die Spiele und so weiter. Ich teste Prototypen und bespreche sie mit meinem Team. Da bin ich sehr involviert.

Ich habe Wargaming gegründet, als ich noch an der Universität war, also hatte ich nie einen anderen Job als Wargaming. Dadurch verfüge ich über sehr viel Wissen. Technisch gesehen bin ich der erfahrenste Entwickler bei Wargaming, ich fühle mich wie ein Coach. Vielleicht kann man das ein bisschen mit Alex Ferguson in seiner Zeit bei Manchester United vergleichen.

Im Wargaming-Hauptquartier in Zypern dürfen die Panzer und Flugzeuge im Regal nicht fehlen

MeinMMO: Was inspiriert dich nach 25 Jahren am meisten an deiner Arbeit?

Victor Kislyi: Lass mich das an einem Beispiel erläutern: Wir hatten vor ein paar Wochen die gamescom und wir hatten eine Gamer-Party in Köln. Wir werden wieder überall auf der Welt Partys veranstalten, aber wegen der Pandemie mussten wir eine Weile pausieren und jetzt war die erste Party wieder auf der gamescom.

Ich war dort und habe so viele bekannte Gesichter getroffen – nicht von Wargaming, ich meine die deutschen Spieler. Bei diesen Partys geht es mir nicht um das Bier oder die Band, die spielt, sondern um das Lächeln auf den Gesichtern. Wenn die Leute zu mir kommen und über die Spiele reden, nach Modifikationen an ihren Lieblingspanzern oder -schiffen fragen oder wissen wollen, warum wir dies oder jenes gemacht haben und Fotos mit mir machen.

Und von vielen Spielern kenne ich die Gesichter schon sehr lange. Wir haben uns vor der Pandemie in Köln getroffen und jetzt können wir uns nach Jahren wieder sehen und umarmen uns wie alte Freunde. Wie in diesem Beispiel bin ich sehr glücklich zu sehen, dass es Millionen von Spielern auf der ganzen Welt gibt, denen Wargaming Glück in Form von großartiger Unterhaltung bringt.

Strenger, analytischer, kritischer

MeinMMO: Wenn du die Zeit 25 Jahre zurückdrehen und dir einige Tipps in Bezug auf die Gründung von Wargaming geben könntest: Was würdest du zu deinem jüngeren Ich sagen?

Victor Kislyi: Eine gute Frage. Die Antwort wäre: Strenger, analytischer und kritischer sein. Keine lahmen Ideen zulassen, die Geld verschwenden.

Projekte stoppen, die Ressourcen verschwenden, und diese Ressourcen anderen Projekten zuweisen, die gut funktionieren. Aber das kann ich jetzt sagen, nach diesen Projekten. Wir sind Teil der Spieleindustrie, man weiß nie, was am Ende funktioniert.

MeinMMO: Wenn du in der heutigen Zeit noch einmal ein Spiele-Studio gründen würdest, glaubst du, dass du wieder so erfolgreich sein könntest, und wenn ja, wie?

Victor Kislyi: Ja! Denn ich bin ein leidenschaftlicher Gamer und Spiele unter die Leute zu bringen ist das, was ich wirklich liebe.

Und jetzt habe ich eine lange Erfahrung in diesem Bereich, gute Kontakte in der ganzen Welt, ein großes Netzwerk von leidenschaftlichen Leuten und einen Haufen Ideen für Spieldesigns in meinem Kopf.

In meinem ganzen Leben habe ich nie von einem anderen Job geträumt.

13 Jahre ohne Erfolg

MeinMMO: Welches sind aus deiner Sicht die fünf wichtigsten Meilensteine, die Wargaming seit seiner Gründung erreicht hat?

Victor Kislyi: Massive Assault – unser erstes großes, international gefeiertes Strategiespiel.

Order of War – World War II trifft Total War im großen Stil, veröffentlicht von Square Enix, wie könnte ich das vergessen?

Nummer drei ist World of Tanks, die Antwort liegt auf der Hand.

Die Skalierung von Wargaming nach dem anfänglichen Triumph von World of Tanks – der Aufbau eines internationalen Teams und die Skalierung unserer Entwicklung und Veröffentlichung auf der ganzen Welt.

Und was ist Nummer 5? Der anhaltende Erfolg von World of Warships und World of Warships: Legends.

Und ich würde gerne noch eine Nummer 6 hinzufügen, denn der eindeutige Gewinner in diesem Punkt ist: 13 Jahre ohne nennenswerten Erfolg auf dem Weg zur Erfüllung des Traums zu überleben. Diese 13 Jahre vor dem Erfolg waren wie ein Test, und wir haben ihn bestanden.

MeinMMO: Was war die schwierigste Entscheidung, die du in den letzten 25 Jahren in Bezug auf Wargaming treffen musstest?

Victor Kislyi: Als wir die Idee für World of Tanks hatten, etwas absolut Verrücktes, etwas, das wir noch nie zuvor gemacht haben, ein Must-Have-Multiplayer-MMORPG mit Panzern.

Das hörte sich verrückt an und ich musste entscheiden, dass das Unternehmen aufhört, alles andere zu machen, egal wie vielversprechend oder sicher es war. Und dass wir uns voll und ganz auf diese neue, utopische Idee einlassen und sie wirklich konsequent umsetzen.

MeinMMO: Was ist die schönste Erinnerung, die du mit deiner Arbeit bei Wargaming verbindest?

Victor Kislyi: Die Veröffentlichung von World of Tanks, als unvorstellbare Anstrengungen, hoffnungslose Zeiten und Mühen vorausgingen – das war für uns wie der Start von Apollo 13.

Und am nächsten Morgen – ich verließ das Büro gegen 4 Uhr morgens und fragte mich: “Was wird sein, wenn du aufwachst?” – und es war einfach unglaublich. Die Leute liebten es. Das Zahlungssystem brach zusammen und die Spielerzahlen stiegen und stiegen.

Es sah aus wie ein DDOS-Angriff, aber es waren Leute, die das Spiel spielten, das wir entwickelt hatten. Das war ein großartiger Moment.

Screenshot aus World of Tanks
Das Free2Play-MMO World of Tanks war der große Durchbruch für Wargaming.

Eine verrückte Idee kann funktionieren

MeinMMO: World of Tanks war (und ist) ein Riesenerfolg. Wie hat das MMO deiner Meinung nach den Markt beeinflusst?

Victor Kislyi: Wir haben definitiv neue Spielmechaniken eingeführt.

Nehmen wir nur Counter Strike oder Call of Duty – Spiele, die viele Leute mögen, also Shooter im Allgemeinen. Aber mit diesen Maschinen, wie wir es gemacht haben, spielt es sich ganz anders. Es gibt ein neues Gameplay und viele neue Emotionen. Es ist groß, es ist schwer, es ist nicht so linear wie die damaligen Shooter.

Ich will damit sagen, dass eine verrückte Idee tatsächlich funktionieren kann. Die Leute haben nicht daran geglaubt, aber die Spieler haben es geliebt. Und wir haben ein No-Pay-to-Win-Metagame auf den Markt gebracht, das für die westliche Welt geeignet war. Das war von Anfang an unser Prinzip, das haben wir beibehalten und das werden wir auch weiterhin tun.

MeinMMO: Wie hat sich das MMO-Genre deiner Meinung nach in den letzten 25 Jahren entwickelt?

Victor Kislyi: Free-to-Play-MMOs sind heute auf allen Märkten ausgereift. Sie haben eine hohe Qualität, große Unternehmen sind daran beteiligt.

Es gibt jetzt diese AAA-MMOs wie World of Tanks, World of Warships und einige andere Spiele von anderen Firmen, sehr gute Spiele. Man kann diese hohe Qualität kostenlos für ein Spiel bekommen, für das man früher etwa 60 € für eine Box bezahlen musste.

Und das kann den Spielern mehr Möglichkeiten und mehr Spaß bieten. Da World of Tanks und Call of Duty Warzone kostenlos gespielt werden können, profitieren die Spieler davon.

75% der Spieler zahlen nicht

MeinMMO: In den letzten Jahren wurde das Free2Play-Model und die Mikrotransaktionen immer kritischer betrachtet. Wieso hältst du daran fest?

Victor Kislyi: Dieses Modell entwickelt sich ständig weiter. Wir sind absolut darauf fixiert, dass es bei unseren Spielen kein Pay-to-Win gibt. Und glaube mir, sobald es Pay-to-Win gibt, wird die Community das wie ein Tsunami zerstören.

Nicht nur in unseren Spielen, sondern in allen westlichen Free-to-Play-Spielen. Solange die Spieler es akzeptieren und genießen, gibt es mehr Möglichkeiten, und man kann mehr Leute erreichen. Leute, die dein Spiel nie gekauft hätten.

75% unserer Spieler zahlen überhaupt nicht. Das bringt großartige Möglichkeiten und deshalb werden wir unser Free-to-Play-Modell beibehalten.

MeinMMO: In den letzten Jahren häufen sich Berichte über sexistisches und toxisches Verhalten in etablierten und alteingesessenen Spielestudios, was oft mit einer Burschenschafts-Kultur gleichgesetzt wird. Meine Frage: Was tut Wargaming und hat Wargaming in den letzten 25 Jahren getan, um die Vielfalt zu stärken und toxisches Verhalten innerhalb des Unternehmens zu bekämpfen?

Victor Kislyi: Bei Wargaming habe ich die Macht und die Möglichkeit, Gleichberechtigung als Prinzip in unserem Einstellungsverfahren zu verfolgen.

Wir haben ein vielfältiges Arbeitsumfeld mit Mitarbeitern aus 60 verschiedenen Ländern in 16 Niederlassungen weltweit. Mehr als 40 % unserer derzeitigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind seit mehr als fünf Jahren bei uns – das bedeutet, dass wir vieles richtig machen.

Im Wargaming-Büro in Prag wird ein Schiffsmodell unter die Lupe genommen. In World of Warships dreht sich alles um Schiffe.

MeinMMO: Wie sieht deine Vision für die Zukunft von Wargaming aus?

Victor Kislyi: Die gute Nachricht ist, dass wir wieder schwarze Zahlen schreiben. Wir haben [wegen des Ukraine-Kriegs] viele Opfer gebracht, aber wir haben Spieler in Amerika, Europa und Asien, die wir mit unseren Spielen glücklich machen können.

Was uns in diesen 25 Jahren, mit all den Höhen und Tiefen, den vielen Tiefschlägen, einschließlich der Pandemie und des andauernden Krieges, am Leben erhalten hat, ist unsere Leidenschaft für Spiele und unsere Hauptaufgabe, die wir nie vergessen: großartige Spiele zu machen.

Was werden wir in Zukunft tun? Wir werden unsere bestehenden Spiele noch besser machen. World of Tanks, World of Warships und die Blitz-Titel. Wir werden es verbessern, mehr Updates herausbringen und unsere Spieler in den nächsten 25 Jahren bei Laune halten. Und wir haben zwei große, aufregende und ehrgeizige AAA-Projekte für die Zukunft in der Entwicklung.

Früher gab es Banker, ohne Ahnung von Spielen

MeinMMO: Was glaubst du, wie sich der Spielemarkt in den nächsten 5-10 Jahren entwickeln wird?

Victor Kislyi: Was definitiv dominieren wird, sind AAA-Spiele mit hoher Produktionsqualität und hohen Budgets, großen Franchises und makelloser Umsetzung.

Diese Art von AAA-Spielen, wie sie von Activision, Microsoft und einigen anderen Firmen produziert werden. Die Qualität wird sich nicht nur auf die Grafik und die Effekte beziehen, sondern auch auf den Service. Ich glaube auch, dass es einige neue Free-to-Play-Innovationen geben wird, die wir noch nicht kennen, wie zum Beispiel den Battle Pass in den letzten Jahren.

Eine gute Sache ist, dass es neue Investoren gibt. Leute, die tatsächlich Gamer sind.

Leute von Spielefirmen, die ihren Job gewechselt haben und jetzt im Investmentbereich tätig sind und Geld von Institutionen in die Spieleindustrie bringen. Früher gab es Banker, aber die hatten keine Ahnung von Spielen. Diese neuen Leute werden neues “intelligentes” Geld bringen, das die Industrie ankurbeln wird.

Wir besitzen das Konzept des Fahrzeug-Shooter

MeinMMO: Welche Rolle wird Wargaming in der Zukunft des Gamings spielen?

Victor Kislyi: Wir werden keine Tanzspiele, Rennspiele oder ähnliches machen. Unsere Spezialität sind Panzer, Schiffe und Flugzeuge. Ob historisch oder Science Fiction. Wir werden unseren Spielern die Wahl lassen, in eine virtuelle Kampfmaschine zu springen, ob sie es schnell oder langsam mögen, alle möglichen Klassen.

Man springt rein, stürzt sich in den Kampf und bekommt seine fünf bis zehn Minuten Adrenalin. Wenn man verliert, kann man neu anfangen. Wir werden den Spielern Upgrades, soziale Funktionen und Anpassungsmöglichkeiten bieten.

Wir besitzen das Konzept des Fahrzeug-Shooter und werden es dominieren. Es ist ein Hobby und wird ein Hobby bleiben. Es ist wie Fußball oder Tennis. Man wird immer wieder darauf zurückkommen, und wir sind hier, um die bestmöglichen Spiele dafür zu liefern.

MeinMMO: Welche Tipps würdest du jungen Menschen geben, die jetzt, im Jahr 2023, in die Spielebranche einsteigen wollen?

Victor Kislyi: Diejenigen, die in die Spieleindustrie einsteigen wollen, werden dies auf jeden Fall tun. Als Indies oder sie werden halbtags arbeiten, als Praktikanten usw. So wie ich es vor 25 Jahren gemacht habe.

Aber mein Rat: Findet einen Weg, Mathematik und Physik zu studieren.

MeinMMO: Vielen Dank Victor, dass du dir die Zeit genommen hast, unsere Fragen zu beantworten!

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