„Meine Mutter versteht das bis heute nicht” – FiNessi erklärt, wie sie von einer Aktivistin zur Twitch-Streamerin wurde

„Meine Mutter versteht das bis heute nicht” – FiNessi erklärt, wie sie von einer Aktivistin zur Twitch-Streamerin wurde

FiNessi streamt auf Twitch und leistet Aufklärungsarbeit zu Themen, die ihr am Herzen liegen. Auf der TwitchCon Europa sprach MeinMMO mit der Streamerin.

Nessi alias „FiNessi” ist offen trans und betreibt seit 4 Jahren Aufklärungsarbeit zu Themen wie sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, Ableismus und Umweltschutz auf Twitch. In dieser Zeit hat sie viel erreicht: So hat sie sich eine treue Community von fast 9.000 Followern aufgebaut und wurde 2023 mit einem Youlius-Award für „Aktuellen Journalismus” ausgezeichnet.

Jüngst wurde FiNessi zudem zum Twitch Ambassador erklärt: Das sind Content Creator, die besonders positiv zur Twitch-Community beitragen und auch an Neuerungen auf der Streaming-Plattform mitarbeiten.

Auf der TwitchCon Europa sprach MeinMMO am 30. Juni 2024 mit FiNessi über ihren Weg zur Twitch-Streamerin, ihre neue Rolle als Ambassador und erklärt, warum ihr Stream kein „Safe Space” ist.

Das Twitch längst nicht mehr nur zum Spielen da ist, zeigt auch Sandra Friedrichs, die als “anormaldisaster” Themen wie Mental Health auf der Streaming-Plattform anspricht.

Das Interview wurde zur besseren Verständlichkeit bearbeitet und gekürzt.

Von der Aktivistin zur Twitch-Streamerin

MeinMMO: Auf deinem Twitter-Profil bezeichnest du dich als Moderatorin, als Aktivistin – siehst du dich als Twitch-Streamerin, die ihre Plattform für Aufklärung nutzt, oder siehst du dich als Aktivistin, die Twitch als Werkzeug benutzt?

FiNessi: Das ist eine super schwierige Frage. Ich glaube auch, dass sich das gewandelt hat. Ich komme ja aus dem aktivistischen Bereich, und bin das natürlich auch immer noch. Ich habe das Gefühl, das hat eher so zwei Seiten.

Am Anfang war das einfach nur mein Mittel, weil ich viel Diskriminierung erfahren habe und dann gesagt habe, ich möchte mich äußern und dann auch online äußern. Deswegen hat das dann so angefangen. Da würde ich sagen, da war Twitch dann auf jeden Fall einfach nur Mittel.

Inzwischen sehe ich das ein bisschen anders, weil ich mich schon sehr wohlfühle auf Twitch, und das auch so ein bisschen mein Zuhause ist, mein Online-Präsenz-Zuhause, da hat das alles angefangen. Und deswegen würde ich mich schon auch als Twitch-Streamerin sehen, ja.

MeinMMO: Was war für dich der Moment, in dem du festgestellt hast: Das ist nicht mehr nur ein Hobby, das ist jetzt mein Beruf, daraus kann ich eine Karriere machen?

FiNessi: Das war auch aus Versehen, also, mir ist vielen aus Versehen passiert. Ich hab das dann nebenbei gemacht, erstmal neben der Schule, die ich ja dann irgendwann abbrechen musste aus psychischen Gründen, nachdem ich mal im Krankenhaus gelandet bin deswegen. Das ging dann nicht mehr.

Dann hatte ich eine Sozialarbeiterin, die mir dann geholfen hat, zur Beratung, wo ich durch jedes System gerasselt bin, was es so gibt und Deutschland, jedes Auffangsystem. Das heißt, ich habe dann kein Geld bekommen, keine staatliche Förderung, nichts. Das heißt, ich war psychisch nicht in der Lage, zu arbeiten und gleichzeitig gab es kein Auffangbecken.

Das heißt, ich hatte nichts: kein Geld, nichts. Und dann hab ich gedacht, hey, ich stream ja auf Twitch, dann mach ich das halt jetzt in der Zeit. Das heißt, das war so aus der Not gedrungen, ich habe mir gedacht, da kommt vielleicht ein bisschen Geld bei rum.

Und dann habe ich das Vollzeit gemacht, das heißt, sehr, sehr früh, als es noch gar nicht wirklich möglich war, das Vollzeit zu machen, habe ich es angefangen und inzwischen kann ich halt auch gut von leben. 

MeinMMO: Nach allem, was ich gesehen habe, haben dich deine Eltern bei deinem Coming-out sehr unterstützt – wie war es, als du ihnen gesagt hast: „Ich bin jetzt Influencerin”?

FiNessi: Ich glaube, meine Mutter versteht das bis heute nicht. Aber das ist auch okay, meine Mutter unterstützt das auch voll. Ich erzähl’ dann manchmal Sachen, sie versteht es dann wie gesagt nicht ganz, aber sie findet es toll und sie freut sich.

Mein Vater ist auch sehr stolz, der versteht das dann ein bisschen besser, also das ist gar kein Problem. Mein Opa fragt immer wieder Sachen, weil er halt auch überhaupt nicht versteht, warum man das macht und was für eine Auswirkung das hat.

Ernennung zum Twitch Ambassador: “Ich dachte, ich werde gebannt”

MeinMMO: Kannst du etwas zum Ablauf sagen, wie du Twitch Ambassador geworden bist?

FiNessi: Das ist super interessant. Grundsätzlich haben die so ein Bewerbungsverfahren. Ich habe mich vor 3 Jahren oder so dafür beworben.

MeinMMO: Da warst du noch selbst ganz am Anfang, oder?

FiNessi: Richtig, ich hab vor 4 Jahren – [am 1. Juli 2020, Anm. d. Red.] angefangen, zu streamen und ich hab das schon komplett vergessen gehabt. Und dann bekam mein Management eine E-Mail, also nicht meine Twitch-interne, sondern wirklich über meine Management-Mail kam dann eine Mail rein, und die haben gesagt, sie wollen mit mir reden. Mehr stand da nicht.

Und ich dachte schon: Werde ich jetzt gebannt? Was habe ich getan? Werde ich jetzt ermahnt? Und deswegen war ich so ein bisschen aufgeregt.

Ich hab das Gespräch dann alleine gemacht, weil mein Management keine Zeit hatte. Und dann saßen wir da zu dritt, mit einem Mitarbeiter von [?] mit dabei und eine US-Mitarbeiterin und ich saß da und war so: Okay, was passiert jetzt hier?

Sie fingen dann auch so ein bisschen mystisch an, zu reden, und dann wusste ich immer noch nicht, was wollen sie jetzt. Bis sie dann halt mit dem Punkt kamen, dass sie sagen: Wir wollen dich als Ambassador und wir machen jetzt mal eine Vorstellung, was das überhaupt ist und dann gab es so eine riesige Powerpoint, was das alles verspricht und was ich dafür machen möchte und danach haben sie mich gefragt, ob ich das werden möchte. 

MeinMMO: Gibt es gerade etwas, wo du aktuell sagen kannst: Das ist ein Problem?

FiNessi: Boah, was sind denn gerade so größere Probleme, die mich stören? Eigentlich geht es eher um die Feinheiten. Also ich glaube nicht, dass Twitch ein riesiges Problem hat. Ich glaube, viel kommt leider daher, dass Twitch generell gerade nicht super viel Geld hat.

Das versteh’ ich sehr gut. Und da gibt es so ein paar Sachen, ich hätte zum Beispiel gerne Pronomen-Badges, im Twitch-Chat, also direkt von Twitch selbst. Das haben sie auch schonmal angekündigt, dass sowas kommen wird.

Einmal das und was ich mir, glaube ich, grundsätzlich wünschen würde, das habe ich auch schon angesprochen, das ist, wenn man gefeatured wird, als marginalisierte Gruppe, auf der Haupt-Seite, dann kommt da sehr, sehr viel Hass. Und ja, die Moderations-Tools sind wirklich toll auf Twitch, ich kenne keine andere Website, wo die so stark sind. Ich hab einmal auf YouTube gestreamt und das war wirklich nicht gut, was Moderations-Tools anging.

Aber wenn das für kleinere Streamer ist, dann ist das Mod-Team trotzdem nicht groß genug für die Startseite und daher hätte ich mir halt gewünscht, dass vielleicht so ein bisschen Support kommt von Twitch aus.

Sie sagen: Wir haben Moderator*innen, die dafür zuständig sind und setzen die dann da ein. Sodass man so ein bisschen Unterstützung hat. Nicht: Man wird da hingesetzt und bekommt dann den Hass ab. Das ist ja nicht im Sinne von irgendjemandem.

Safer Spaces auf Twitch: “Diskriminierung hat hier keinen Platz”

MeinMMO: Ich habe bei deiner Ambassador-Ankündigung gesehen, dass dein Stream als “Safer Space” bezeichnet wurde – was macht deinen Stream speziell zu einem “Safer Space”.

FiNessi: Das ist eine sehr spannende Frage, weil es eine sehr lange Zeit war, da habe ich mich nicht als das bezeichnet, aus gutem Grund. Also es gab eine Zeit, da habe ich angefangen zu sagen: Ja, das ist ein Safe Space. Das stimmt aber nicht. Also ich kann nicht sagen: Das ist ein Safe Space, weil “safe” kann er nicht sein. Es können immer irgendwelche Leute reinkommen, und was schreiben, was nicht okay ist.

Gleichzeitig habe ich lange mit dem Begriff gestruggled, weil ich gesagt habe, ich behandle Themen, die sind belastend, das sind keine schönen Themen, da geht es oft um Diskriminierung, um Gewalt, und für mich war das dann kein Safer Space, sondern ein “Hier ist es ungemütlich:”

Dann war das aber lange Zeit so, dass ich das gehandelt habe, ich bin ja viel im Kontakt mit meiner Community auch deswegen und wir haben halt viel darüber geredet. Und warum ich es jetzt wieder reinstelle und so benenne ist, dass Menschen, egal wie sie geboren wurden, sich bei mir sicherer fühlen können und auch gehört werden, wenn es um schwierige Themen geht.

Das heißt, wir behandeln zwar schwierige Themen, aber im Chat wird keine Diskriminierung geduldet, egal wem gegenüber. Das heißt, Menschen können sich gesichert über solche Themen unterhalten. Und deswegen würde ich ihn als “Safer Space” bezeichnen, “safer” halt auch, wichtig, weil ganz sichern geht’s nie. Wir versuchen es mit meinem Mod-Team, die sind großartig, das gut zu halten.

MeinMMO: Worauf muss man achten, wenn man einen Safe Space – oder einen “Safer Space” – schaffen möchte?

FiNessi: Es gibt viele Sachen, aber auch so viele Kleinigkeiten. Ich glaube, es beginnt damit, dass man sich mit den Themen beschäftigt, mit Marginalisierungen. Also bei mir ist es so, natürlich, ich bin selbst offen als trans Person, aber ich beschäftige mich viel mit Ableismus, weil ich auch denke, dass es ein super wichtiges Feld ist, was leider sehr, sehr untergeht oft.

Und ich bin selbst nicht betroffen, deshalb muss ich mich bei Menschen erkundigen und mich aufklären lassen darüber. Das ist so der erste Step in die Richtung “Safer Space”, glaube ich, selbst darüber bewusst werden, und dann halt eben entweder mit wem man da gerade zockt, schon darauf achten, okay, was ist da gerade so die Sprache, ist man gerade vielleicht ein bisschen nett zu Menschen, und benutzt man vielleicht Begriffe, die ich jetzt nicht aussprechen möchte, in der alltäglichen Sprache, die halt ableistisch sind, queerfeindlich sind, dass man sich da so ein bisschen sensibilisiert.

Und gleichzeitig, was für mich auch wichtig ist, das dann auch im Chat so widerzuspiegeln, dass man die Moderator*innen darauf trimmt: Wenn ihr Diskriminierungen lest, dann kommt das weg. Und dann einfach sagen: Diskriminierung hat hier keinen Platz.

MeinMMO: Also da steckt richtig Arbeit dahinter – man kann nicht einfach sagen: “Ich möchte, dass sich hier alle wohlfühlen”

FiNessi: Ja, ich glaube, das ist auch etwas, worauf viele dann stoßen. Die dann halt sagen: Das hier ist ein cozy Space, und dann kommt auf einmal was und dann gibt es Reibungen. Oder man möchte sich vielleicht diesem Thema nicht stellen, aber im Endeffekt ist es wichtig, und es ist wichtig, Diskriminierungen halt auch wirklich zu bannen und zu sagen: Ne, du hast hier keinen Platz.

Und ich glaube, das muss vielen Menschen klar werden, dass das kein großes politisches Statement ist, sondern normal sein. Man muss keinen riesigen Politik-Stream machen, um einen Safer Space zu schaffen. 

Auf der TwitchCon hatte MeinMMO-Redakteurin Lydia die Gelegenheit, den CEO der Plattform, Dan Clancy persönlich, zu interviewen. Dabei ging es um den Platz von Nicht-Gaming-Inhalten auf Twitch sowie aktuelle Ereignisse. Das Gespräch findet ihr hier: Wir haben den Chef von Twitch gefragt, was er zu den Skandalen in Deutschland um Anni The Duck und Unge sagt

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Kadara
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