Der Analyst Nicholas „LS“ De Cesare hat sich in League of Legends einen Namen als Caster, Coach und Stratege gemacht. Er erklärt jetzt, dass weder Profis noch Coaches in LoL wirklich Ahnung davon haben, wie der so wichtige Draft im E-Sport funktioniert. Dafür braucht es offenbar Strategie-Spezialisten, wie ihn.
Was ist der Draft? LoL hat 154 Champions: Ein Team kann aber nur 5 spielen. Beim Draft legen die Coaches fest, welche Champs ihre Spieler später im Match nutzen werden.
- Im normalen Spiel läuft das einfach so ab, dass man den Champ wählt, auf den man grade Bock hat und mit dem man sich wohlfühlt.
- Auf hohem Niveau, im E-Sport, ist das aber eine Wissenschaft und Kunst für sich.
Der Draft in LoL ist eine komplexe Angelegenheit, denn jedes Team kann 5 Champions bannen, die weder sie, noch der Gegner spielen können.
Zudem ist es wichtig, in welcher Reihenfolge die einzelnen Champions ausgesucht werden: Die Teams reagieren darauf, was das andere Team macht, kontern bestimmte Champions oder streben an, eine Kombination von Helden zu versammeln, von denen sie denken: Dieses Team arbeitet besonders gut zusammen.
Der Draft entscheidet letztlich auf hohem Niveau über Wohl und Wehe des Spiels und das wird von Fans im Nachhinein oft heftig diskutiert: Wenn ein Team klar verliert, war hinterher häufig der Draft schuld.
Der Draft ist auch deshalb so kompliziert, weil Riot Games mit jedem Patch die League of Legends etwas verändert: Die Champs und die Rollen in einem Match werden stärker und schwächer:
- Traditionell waren Midlaner und ADCs die Stars ihres Teams. 2019 waren Jungler vor allem dafür da, die Teamfights zu eröffnen, damit die Midlaner sich die Kills holen. Hier glänzten Champions wie Lee Sin. Mit dem wurde Tian zum wertvollsten Spieler bei den Worlds 2019.
- 2020 waren die Jungler aber plötzlich die zentralen Killer ihres Teams und der Midlaner legte ihnen die Kills vor. Daher ist es nun wichtig, dass die Jungler schnell leveln und farmen. 2020 dominierte Canyon mit Graves die Worlds 2020 – dieselbe Rolle, komplett anderer Spielstil.
Das Meta ist in LoL in einem permanenten Wandel. Daher muss sich auch der Draft stetig anpassen. Einem Coach, der gut draftet, wird im Nachhinein bescheinigt “Das Meta richtig gelesen zu haben.” Während ein schlechter Draft schnell dazu führt, dass ein Team viel schlechter wirkt, als es eigentlich ist. Spieler schütteln über solche Drafts den Kopf, sagen das seien völlige “Troll-Picks” und das Team ohnehin nur eine “Clown Fiesta.”
Draften erfordert Skills, die in LoL überhaupt nicht ausgebildet werden
Das sagt der LoL-Nerd: Wenn es nach dem Strategen LS geht, haben weder Coaches noch Profis in LoL eine Ahnung davon, wie der Draft in dem Spiel geht, mit dem sie ihr Geld verdienen. Das erklärt er in einem Interview mit der Seite Inven (via Inven).
Denn laut LS hat das Draften nichts mit dem Spielen eines MOBAs zu tun, sondern ist ein strategischer Skill wie in den Sammelkarten-Spielen, von denen er kommt. Er vergleicht den Draft mit dem Zusammenstellen eines Decks in Hearthstone oder Magic: The Gathering.
Letztlich seien Champs wie Karten in einem Magic-Deck. Und LoL-Spieler spielen eben LoL und kein Magic: The Gathering:
„Ich denke es ist unvernünftig anzunehmen, dass MOBA-Spieler oder Coaches wirklich verstehen, wie der Draft geht. Denn das ist eine komplizierte Fähigkeit, die es zu meistern gilt, sogar in einem Sammelkarten-Spiel. Sonst wäre ja jeder Mythisch in Magic The Gathering oder superhoch in Hearthstone.“
Nick “LS” De Cesare
LS sagt, der Draft sei so schwer und hochkomplex, weil man eine Vielzahl von Dingen gleichzeitig beachten und abwägen muss:
- Wie sind die Matchups auf der Lane?
- Wie verhalten sich die Champs untereinander?
- Was sind die verschiedenen Bruchstellen im Spiel?
- Welche Schwellenwerte beim Gold müssen die Champs erreichen?
- Überdecken sich Champs mit anderen ungünstig?
- Wie laufen die verschiedenen Match-Ups zu verschiedenen Zeitpunkt im Match?
- Gibt es unterschiedliche Item-Breakpoints?
Deshalb haben Profis und Coaches keine Ahnung: Für LS ist der Draft eine Kunst, über die er stundenlang reden kann. Er sagt, die meisten Spieler und Fans verstüden gar nicht, was man braucht, um in LoL zu gewinnen.
„Wer von StarCraft kommt, der weiß, dass man nicht gewinnt, nur weil man mehr Basen als der Gegner hat, mehr Gold oder Mineralien. So ist es auch bei Kartenspielen – nur weil man gegen einen Aggro-Spieler hinten liegt, heißt das nicht, dass der gewinnt. Genauso ist es in LoL.“
Nick “LS” De Ceare
Das Niveau, in dem Profis über den Draft reden, scheint LS zu erschrecken: „Eine Menge Leute denken, die Coaches sollten gut im Draft sein, aber es ist lächerlich, das von ihnen zu verlangen. Manche Leute glauben, die Spieler seien gut darin. Das ist genauso lächerlich. Hört euch mal den Voice-Chat an, wie die über manche Matchups reden.”
Es sei absurd anzunehmen, dass Spieler und Coaches gut im Drafting sein müssten, sagt LS. Es sei einfach kein Skill, den man in LoL findet.
Draft in LoL braucht offenbar eigene Spezialisten, die von Kartenspielen kommen
Das steckt dahinter: Es ist ein interessantes Konzept, das LS hier erklärt. Im Prinzip ist der Draft ein „eigenes Spiel für sich“, das hinterher bestimmt, wie ein LoL-Match abläuft:
- Bei LoL kommt es auf schnelle Reaktionen, taktische Entscheidungen und starkes Teamplay an
- Der Draft ruft andere Skills ab. Hier ist es wichtig, strategisch zu planen, den Gegner einzuschätzen, selbst einen Plan zu entwerfen und durchzuführen, rasch auf Entscheidungen des Gegners zu reagieren. Es ist entscheidend, LoL richtig zu verstehen und das Meta zu analysieren und zu interpretieren
Letztlich sieht man an solche Ausführungen, dass der E-Sport in LoL noch relativ am Anfang steht. Wenn es nach LS geht, hätte wohl jedes Team einen Strategen, der sich ausschließlich mit dem Draft beschäftigt. Im Moment ist das bei vielen LoL-Teams die Aufgabe des Coaches, die häufig für ihren Draft kritisiert werden.
LoL könnte eine ähnliche Entwicklung wie der Fußball nehmen: Da gab es früher nur kleine Coaching-Teams. Heute sind professionelle Coaching-Teams im Fußball hoch professionalisiert und haben für jeden Aspekt des Spiels einen eigenen Spezialisten.
Wenn’s nach LS geht, brauchen LoL-Teams einen eigenen “Drafting-Spezialisten”, so wie Fußball-Teams eben einen eigenen Torwart-Trainer beschäftigen.
LS hat sich als Vordenker bei LoL einen Namen gemacht. Bekannt wurde er, weil er ein bestimmtes Item, das viele spielten, völlig ablehnte, und jedem erklärte, sie sollten auf ein anderes Item setzen. Das hat ihm sogar einen Platz in LoL gebracht:
Twitch-Streamer weint, als er sieht, dass er nun Teil von LoL ist: „Ich bin kein Random mehr“
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LS hat hier durchaus Recht – der Draft ist hochkomplex, weil es eben all diese verschiedenen Aspekte zu beachten gibt, die im Artikel sehr schön aufgeführt sind.
Der Unterschied zum Deckbuilding in MtG oder Hearthstone ist natürlich: In MtG und HS hat man unbegrenzte Zeit, ein Deck zu erstellen. Man kann sich alle Zeit nehmen, die man braucht, um die Synergien zwischen den Karten und die Stärke gegen alle aktuellen Meta-Decks und deren Karten abzuwägen und alle Faktoren zu analysieren. Dann spielt man das neue Deck und kann durch die Konfrontation mit der Realität noch nachbessern.
In LoL muss dieser ganze Prozess binnen weniger Sekunden passieren – und das führt zwangsläufig zu vielen Fehlern. Und es gibt keine zweiten Chancen, in jedem Draft muss komplett neu auf den Gegner reagiert werden.
In der Tat werden viele LoL-Spiele bereits im Draft maßgeblich entschieden. Natürlich nie so, dass es schon im Draft zu 100% sicher wäre, wer gewinnt – aber halt schon dergestalt, dass das Team mit dem besseren Draft eine signifikant höhere Chance hat, als Sieger aus der Partie hervorzugehen. Kurzum: Bei zwei gleichstarken Teams kann man vor dem Draft davon ausgehen, dass die Siegeswahrscheinlichkeit bei 50:50 liegt. Nach dem Draft kann sich das schnell zu einem 30:70 wandeln – bevor das eigentliche Spiel angefangen hat. Das ist einfach ein absolut wichtiger Faktor.
Das Problem bei der Sache ist nun aber: Nur das theoretische Wissen, welches LS hier ausführt, reicht für einen guten Draft nicht. Man muss auch wissen, welche Champions die Gegner gut beherrschen (“Scouting”), man muss wissen, welche Champions die eigenen Spieler wie gut beherrschen und man muss auch selbst ein tiefes Verständnis des Spieles haben. Um all diese Faktoren bestmöglich in den 30 Sekunden, die jeder Draft-Schritt dauert, perfekt überblicken zu können, muss man wahrhaft übermenschliches leisten. Kurzum: Das Skill-Cap im Draft ist gigantisch, vermutlich sogar höher als das Skill-Cap im Spiel selbst.
Ja, also eigentlich ist das verrückt, wenn man da so betrachtet. Dass dieses “Kartenspiel” vor dem eigentlichen Spiel kommt und ja auch immer komplexer wird.
Wenn du halt nur 20 Champs hast, die überhaupt relevant sind und musst 5 aussuchen, dann geht das ja. Aber Riot arbeitet ja aktiv daran, immer mehr Champions relevant zu machen – du gibst den Leuten immer mehr Variablen, die sie bedenken müssen.
Bei vielen Kartenspielen ist es ja so, dass die Komplexität gleich bleibt, weil immer wieder Karten aus dem Pool verschwinden.
Das Skill Gap bei LoL ist da enorm – auch durch den Draft. Das sehe ich genau wie du. Das find ich faszinierend, wie viel da noch möglich ist.
Schwieriges Thema, aber ja: Oftmals wirken die Drafts der Pro-Teams etwas unbeholfen und planlos. Bestes Beispiel dafür ist eigentlich Mithy als Fnatic-Coach in der letzten Season gewesen oder noch aktueller: Schalke gegen G2 in den LEC-Playoffs. Den Schalkern hat man klar angesehen, dass sie keine Ahnung hatten, was sie gegen G2 picken und bannen sollen. So hat man einfach 5 ADCs gegen Rekkles gebanned und mit Darius einen Cheese-Pick für BrokenBlade gewählt, den man so odt geforced hat, bis er schließlich funktioniert hat. Das hat gereicht um die Series über 5 Games zu spielen, aber such nur, weil G2 zwischendurch hart getrollt hat. Gegen die strategisch perfekten Teams aus Korea geht man damit unter.