Der Klassenkampf: Vielfalt vs. Balance im Klassendesign

Der Klassenkampf: Vielfalt vs. Balance im Klassendesign

„WTF Blizzard? Warum zahl ich eigentlich 12 Euro im Monat, wenn meine Klasse die einzige ist, die eh immer generft wird!“, so lautet ein legendärer Spruch von Onkel Barlow, der seit Jahren im Netz kursiert.

In unserem Artikel widmen wir uns dem heiklen Thema der Klassenbalance anhand des Genre-Primus World of Warcraft und des Oldtimers Dark Age of Camelot. Und wir werfen einen Ausblick darauf, was uns in diesem schwierigen Themenfeld noch erwarten wird.

Brodelndes Chaos bei Dark Age of Camelot

Mein erstes MMORPG war vor vielen Jahren Dark Age of Camelot. Heute wirkt das ein bisschen wie der Geist der vergangenen Weihnacht.

Rückblickend betrachtet war das fürs Spiele-Design eine Zeit wie die 60er Jahre für die Gesellschaft. Auf einmal galten andere Regeln, alles schien im Chaos und im Wandel zu sein, jede Idee wurde erst einmal umgesetzt, die Spielentwickler suchten nach einem neuen Weg.

Dark Age of Camelot zum Beispiel startete mit 30 verschiedenen Klassen.

Wer heute WoW mit seiner überschaubaren Zahl an Klassen gewohnt ist, wird nun darüber die Stirn runzeln, aber für uns Neulinge war das damals – weil wir nichts anderes kannten – ganz normal.

Der Clou bei DAOC: Jedes der drei verfeindeten Reiche hatte andere Klassen zur Auswahl, aber die Basics waren abgedeckt. So stand jedem der drei Reiche zum Beispiel ein Bogenschütze zur Verfügung. Doch in den Details unterschieden sich die Klassen voneinander.

Dark Age of Camelot
Wer kennt sie nicht: die Legolas Fetischisten

Beim Reich Albion, das der Artussage nachempfunden war, handelte es sich um einen Scout, einen militärischen Bogenschützen, der auch zu einem Schild greifen konnte. Das nordische Reich Midgard hatte einen Hunter zu bieten, der ziemlich genau so funktionierte wie der spätere Jäger bei WoW: mit einem Pet, einem Bogen und einem Speer für den Nahkampf. Das Reich Hibernia, das aus der keltischen Mythologie entsprang, wartete mit einem Ranger auf, dessen Stärke Self-Buffs waren.

Fun Fact: Da Hibernia auch Elfen hatte und gerade der “Herr der Ringe” wahnsinnig in Mode war, stieß man in Hibernia zu Release überall auf Variationen des Namens Legolas.

War früher alles schlechter?

Aus heutiger Zeit klingt das wie eine Utopie: Drei Jäger-Klassen in einem Spiel? Wie sollten die überhaupt gebalancet werden? War es nicht ganz logisch, dass der Jäger mit dem Pet stärker war als der ohne? Warum spielte dann nicht jeder den mit dem Pet?

Und das war nicht alles. Es gab die verrücktesten Klassen damals bei Dark Age of Camelot. Der Shadowblade war hoch begehrt. Er war ein Meuchler, der aber riesige Zweihand-Schwerter benutzen konnte und damit aus dem Hinterhalt mit dem ersten Schlag schon zahlreiche Gegner zu Odin schickte. Aus unserer heutigen Balance-Sicht ein wahrer Albtraum!

Wußtest du, dass das kommende PvP-MMORPG Camelot Unchained sogesehen den Nachfolger von Dark Age of Camelot ist und dass der ehemalige Produzent, Matt Frior, nun bei The Elder Scrolls Online als Game Director maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung hat? Die Parallelen im Gamedesign sind auf jeden Fall nicht zu übersehen.

Ein weiteres Beispiel für das Klassendesign bei DAOC: Es existierte damals noch eine Fähigkeit, die heute nicht mehr im Spieldesign auftaucht und die man nur „Bubble“ nannte. Das war ein Buff, der den ersten körperlichen Schaden komplett abfangen konnte und der sich alle 6 Sekunden erneuerte. Diese Fähigkeit wurde auf alle drei Reiche verteilt – doch auf kreative Art. Bei Hibernia erhielt sie ein Kette tragender Supporter, bei Albion ein Caster, der Elementare beschwören konnte, und bei Midgard eine typische Pet-Caster-Klasse, der Geisterbeschwörer.

Also war früher alles besser?

WoW DAoC Balance

Das Gute an dem System: Jedes Reich erforderte eine andere Strategie und entwickelte sich mit der Zeit komplett anders. Die Klassen waren hochspezialisiert und die unterschiedliche Verteilung und Ausrichtung der Skills sorgte für ein ganz anderes Spielgefühl, je nachdem welches Reich man spielte.

Der Nachteil an dem System: Es war himmelschreiend ungerecht. Jedes Reich beneidete die Gegner um bestimmte Eigenschaften und Vorteile. Ständig wurden große Verschwörungstheorien aufgestellt, dass der Betreiber ein Reich bevorzuge und vor allem eine andere Klasse viel besser sei als die eigene Entsprechung.

Den Höhepunkt oder den Tiefpunkt erreichte DAOC dann, als mit Erweiterungen neue Klassen eingeführt wurden, die den Spielern als viel zu stark erschienen. Dann wurde dem Betreiber unterstellt, er bringe nur solch starke Klassen heraus, um den Verkauf des neuen Add-Ons anzukurbeln. Der Begriff „FotM“ machte die Runde, er stand für „Flavour of the Month“, die Klasse, die gerade angesagt war.

Friede und Ordnung bei WoW

Nun, wenn wir dieses Chaos verlassen, das viel für sich hatte, sich aber nicht etablieren konnte, schauen wir uns die Klassen bei WoW an (den Geist der gegenwärtigen Weihnacht sozusagen). Hier gab es von Anfang an nur zwei Reiche, die über die gleichen Klassen verfügten. Lediglich zwei Klassen waren zu Beginn nur einer Fraktion vorbehalten, doch das wurde schnell geändert. Mit The Burning Crusade gab es auch Paladine für die Horde und Schamanen für die Allianz.

Was bei WoW stark auffällt: Blizzard ist extrem vorsichtig, wenn es darum geht, neue Klassen ins Spiel einzuführen. In den vielen Jahren, die WoW bereits existiert, betraten erst zwei neue Klassen die Bühne, der Todesritter und der Mönch. Als der Todesritter erschien, begleitete ihn das Versprechen, nur die erste von zahlreichen neuen Prestige-Klassen zu sein, die Spielern offen stehen würde, die ein bestimmtes Level erreichten. Doch wie sich zeigte, war der Todesritter zugleich die letzte Prestige-Klasse.

Der Todesritter als Sündenfall

WoW Todesritter
Hier zu sehen: Ein böser, böser Todesritter.

Sein Auftreten wurde von der Community mit der gleichen Reaktion bedacht wie das Erscheinen der starken neuen Klassen bei DAOC viele Jahre vorher. Er wurde als viel zu stark, als overpowered und imba, empfunden. Vor anderthalb Jahren, als Mists of Pandaria erschien, ging es dem Mönch genau umgekehrt. Er galt als viel zu schwach und die Leute fragten sich, wofür er überhaupt da sei.

Das Spielprinzip, das Blizzard über alle anderen hält, ist eine Vergleichbarkeit und Fairness der Klassen gegenüber einander. Jeder Spieler soll, egal in welchem Reich er spielt, die gleichen Chancen auf First-Kills und Erfolge haben. Die Unterschiede zwischen Allianz und Horde bei WoW sind verschwindend gering im Vergleich zu den Unterschieden der drei Reiche bei DAOC zu seiner Hochzeit. Das hält die Spieler aber trotzdem nicht davon ab, ständig über die Ungerechtigkeit der Klassen und Rassen zu diskutieren. Ist es bei WoW doch so, dass der Allianz die vermeintlich stärkeren PvP-Rassen zur Verfügung stehen und der Horde die besseren PvE-Rassen.

Missgunst kann auch im eigenen Lager stattfinden

Außerdem stehen bei WoW nicht mehr die Reiche untereinander in Konkurrenz, sondern die verschiedenen Klassen beäugen sich gegenseitig mit Misstrauen und Argwohn. Auch bei WoW gibt es bei jedem Patchzyklus eine Klasse, die den anderen überlegen scheint. Entweder sind die Mages ganz oben in den Damage-Metern oder die Schurken profitieren besonders von einer starken Skalierung.

Dabei ist klar: Auch wenn der mathematische Vorteile nur wenige Prozent oder sogar nur Promille beträgt, ist das Spiel mittlerweile so stark professionalisiert, dass die Unterschiede als ungerecht wahrgenommen werden und zu lautstarken Protesten führen.

Auch darauf hat Blizzard reagiert: Mit der neuen Expansion wurde einfach dieselbe Rasse für beide Fraktionen freigeschaltet. Mit einer ähnlichen Reaktion reagierte man übrigens damals auch bei DAOC auf die Ungleichheit der Fraktionen. In der letzten Expansion gab man allen drei Reichen dieselbe Rasse und auch dieselbe Klasse.

Wo Vielfalt ist, da ist auch Neid und Ärger

Das Interessante und Übergreifende, was man aus den beiden Fallbeispielen WoW und DAOC sicher mitnehmen kann, ist die Erkenntnis, dass es sofort zu Unzufriedenheit und Unfrieden kommt, wenn mehr als eine Klasse oder eine Rasse im Spiel ist und für dieselbe Aufgabe vorgesehen ist. Egal, wie groß der Unterschied in der Realität tatsächlich ist.

Sobald es einen Unterschied gibt, wird er als ungerecht wahrgenommen.

Das sollte insofern alle beruhigen, die sich Gedanken über die Klassenaufteilung bei den MMORPGs der nächsten Generation machen. Bei denen wird es nämlich nicht nur 10 oder 30 Klassen geben, sondern gleich 40 oder sogar eine unbegrenzte Anzahl von Möglichkeiten. Das ist der Geist der zukünftigen Weihnacht!

Neue Impulse am Horizont

Denn moderne Rollenspielsysteme und Spieldesigns gehen wieder von der Gleichmacherei eines Systems wie World of Warcraft weg und ermutigen die Spieler dazu, neue Wege bei der Charakter-Gestaltung zu gehen. Dabei sollen in vielen Systemen die Klassen nicht so hochspezialisiert und eng gefasst sein, wie das noch in DAOC der Fall war. Statt dessen möchten die Entwickler den Spieler Möglichkeiten geben, sich kreativ zu entfalten und die Spielfigur unabhängig von vorgefertigten Schubladen zu entwickeln.

Wir bei mmo.de finden:

Das war auch lange notwendig. Wir freuen uns darauf, dass das Klassen-System neue Impulse erhält! Und wir halten euch darüber gerne auf dem Laufenden!

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